Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Gegen europäische Zerrbilder – Für reale Veränderungen

27.01.2014

Zusammen mit Dominic Heilig, Mitglied im Vorstandes der Europäischen Linkspartei und der Partei DIE LINKE sowie den Sprecherinnen des Forums Demokratischer Sozialisten Julia Nüss und Luise Neuhaus-Wartenberg und dem Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Stefan Liebich, hat Jan Korte heute einen Beitrag zur Debatte um linke Perspektiven für die Europäische Union veröffentlicht.

Im Mai 2014 sind Europawahlen. Millionen Menschen aus 28 Staaten wählen dann ein gemeinsames Europäisches Parlament. Was heute insbesondere für junge Menschen Normalität ist, war vor 25 Jahren noch undenkbar. Europa war geteilt. Erst die Menschen im Osten Europas setzten 1989, beginnend mit dem Abriss der Stacheldrähte in Ungarn und den friedlichen Demonstrationen in Gdansk, Prag, Bukarest, Leipzig und Berlin, dieser Teilung ein Ende. Sie, die Bürgerinnen und Bürger, schufen die Voraussetzung für die Einigung Europas. Deshalb ist die Wahl des Europäischen Parlaments 2014 alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie ist eine erkämpfte Möglichkeit, die Zukunft Europas demokratisch mitzugestalten.

Die Wahl eines gemeinsamen Europäischen Parlaments findet in einem Jahr statt, in dem wir zweier Jahrestage gedenken, die mit unermesslichem Leid verbunden sind, das über die Völker vieler Länder kam. Vor 100 Jahren starben während des Ersten Weltkriegs Millionen Europäer. Das Gedenken an die Opfer, die Zerstörung, den Hunger und die Armut führt uns vor Augen, welch nicht hoch genug zu veranschlagender zivilisatorischer Fortschritt es ist, wenn Konflikte unter europäischen Nachbarn heute nicht mehr auf den Schlachtfeldern dieses Kontinents ausgetragen werden. 2014 ist auch das Jahr, in dem sich der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal jährt. Deutsche Faschisten überfielen europäische Nachbarn und organisierten den Holocaust. Millionen fielen ihnen und ihren Helfern zum Opfer.

Heute herrscht Frieden in Europa. Wer aber wie NPD und AfD, wie Teile von FDP, CDU und CSU chauvinistische Zuwanderungsdebatten vom Zaun bricht und die europäische Einigung schwächt, Deutschland aus dem Euro-Raum, ja letztlich auch aus der europäischen Gemeinschaft herauslösen will, hat aus der Geschichte nichts gelernt. Versuche wie diese gefährden den Frieden zwischen den Menschen in Europa. Unser aller friedliche Zukunft hängt einmal mehr davon ab, wie gut wir uns in eine europäische Gemeinschaft integrieren können und ob es endlich politischer Wille wird, dass diese im Dienst der Menschen, der Umwelt und eines sozial gerechten Miteinanders gestaltet wird.

Lange Zeit überwog die Idee, gemeinsam mehr zu schaffen, für Frieden, Wohlstand und Freiheit. Für diese Idee stand und steht die LINKE. Heute aber wird, was national oft nicht durchsetzbar ist, über die europäische Hintertür doch auf den Weg gebracht. Die scheinbar anonymen Bürokratien in Brüssel, die es durchsetzten, waren jedoch häufig allein die Ausführenden nationaler Interessen. Die europäische Integration hat so eine falsche Richtung eingeschlagen, auch weil demokratische Grundsätze und transparente Verfahren ausgehebelt und sozialer Fortschritt geopfert wurden. Die noch immer aktuelle europaweite Finanzkrise hat diesen Trend noch verstärkt. Und auf einmal werden wieder nationalistische Klischees bemüht, gibt es scheinbar wieder die Fleißigen und die Faulen, die Sparsamen und die Verschwender unter den europäischen Völkern. Das ist nicht nur ein Zerrbild für schlichte Gemüter, sondern es ist ein fataler und nicht hinzunehmender Rückgriff auf Stereotype, die letztendlich in die beiden Katastrophen des 20. Jahrhunderts mündeten.

Die LINKE muss deshalb auch 2014 glaubhaft aufzeigen, dass sie die Europäische Union zu einer sozial gerechten und demokratischen Union entwickeln will. Um dies umzusetzen, braucht es eine starke linke Fraktion in der einzigen europäischen Institution, über die wir gemeinsam und in direkter Wahl bestimmen können: dem Europäischen Parlament.

Nach dem Grauen und den Zivilisationsbrüchen zweier Weltkriege galt die 1956 gegründete EU - besser, deren Vorgängerin - vielen Europäerinnen und Europäern als Versprechen auf eine friedliche Entwicklung zwischen Nachbarstaaten, als Hoffnung der Kooperation. Das Gründungsverständnis war mitnichten ein rein ökonomisches. Mit den 1960er und 1970er Jahren verstärkten sich Diskurse zu den natürlichen Grenzen des Wachstums, kämpften Frauen über Grenzen hinweg um Gleichstellung und reproduktive Rechte. Antikoloniale Befreiungsbewegungen erhoben sich gegen Rassismus und Ausplünderung, zeigten Wirkung in Europa, wie in Portugal, und fanden unter den Menschen in Europa Unterstützung.

Die ersten tiefen Risse im sozialstaatlichen Wohlfahrtskompromiss zeigten sich mit dem Ende der 1970er Jahre in Westeuropa unter anderem in einer wachsenden und sich verfestigenden Arbeitslosigkeit, dem Ende eines durchlässigen Bildungsaufstiegs und den leisen und lauten Kriegen um Öl und Machteinflüsse weltweit. Die Friedensbewegung mobilisierte europaweit gegen das Wettrüsten der Systeme, und in vielen Ländern Europas entstanden neue soziale und ökologische Bewegungen.

Nach dem Mauerfall, der mehr als nur das realsozialistische Staatensystem erschütterte, kehrte jedoch der Krieg mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens nach Europa zurück. Die Europäische Union war erstmalig seit ihrer Gründung nicht in der Lage, Frieden in Europa zu garantieren. Einige EU-Mitgliedsstaaten nahmen gar am Krieg in Jugoslawien teil - und deutsche Soldaten wurden zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder auf den Balkan geschickt. Zeitgleich kehrte auch die soziale Frage, insbesondere in den Transformationsgesellschaften in Osteuropa, in den europäischen Fokus zurück. Doch der EU gelang es hier ebenfalls nicht, diese im Sinne eines solidarischen europäischen Gemeinwesens und einer Wohlfahrt für alle zu beantworten. Im Gegenteil: Nationale Regierungen bauten unter dem Druck von global agierenden Konzernen und Finanzmärkten die EU so um, dass ein europäischer Binnenmarkt entstand, der sich dem marktradikalen Wettbewerb, später dem Finanzmarktkapitalismus verpflichtete, ohne dabei eine kooperative Wirtschafts- und Sozialpolitik oder eine gerechte internationale Handelspolitik einzuleiten. Demokratische Aushandlung und soziale Standards in den Mitgliedstaaten der EU wurden Schritt für Schritt als Pfand für den wirtschaftlichen Erfolg von kapitalen Global Playern geopfert. Der Hunger nach grenzenlosem Wachstum wurde mit antisozialem Wettbewerb, Deregulation von Arbeits- und Sozialstandards und mit der Privatisierung öffentlicher Güter gestillt.

Mit den europäischen Verträgen von Maastricht, Nizza und Lissabon leiteten viele Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten schließlich das Ende der Vernunftsidee einer europäischen Kooperation ein und reduzierten die Freiheit jeder und jedes einzelnen endgültig auf die Kapitalfreiheit. In der Folge florierten Spekulationsgewinne und Roulettespiele an den Finanzmärkten. Es waren keine überschuldeten Staaten mit übergroßen Sozialsystemen, die 2007/2008 die europäische Finanzkrise auslösten. Erst die Deregulierungspolitik der Nationalstaaten ließ die später geplatzte Immobilienblase entstehen, welche wiederum zum Ausbruch der Banken- und Finanzmarktkrise führte. Dennoch ist es auch der Bundesregierung gelungen, die Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus in eine Staatsschuldenkrise umzudeuten und damit auf Millionen Menschen in Europa abzuwälzen. All die in der Folge aufgelegten sogenannten Rettungspakete, denen die LINKE als einzige Partei im Deutschen Bundestag nicht zugestimmt hat, all die »Schutzschirme« und das Diktat der Troika haben im Ergebnis nur die Gläubiger und Aktionäre, nur die Banken und Fonds bedient, die aber Verursacher dieser Krise waren und sind. Das Geld, das zur Bewältigung der Krise nun aufgebracht wird, zahlen nicht die Profiteure des Banken-Casinos. Dieses Geld wird den Bürgerinnen und Bürgern, Rentnerinnen und Rentnern, Angestellten, Arbeitslosen, Kranken und Schwachen Europas genommen, und der Preis dafür sind Sozialabbau und Entlassungen, Privatisierungen und die Zerstörung der Zukunftschancen einer ganzen Generation junger Europäer und Europäerinnen. In Spanien, Griechenland, Zypern, Irland und Portugal, den am härtesten von der Krise getroffenen EU-Staaten, werden Familien aus ihren Wohnungen und Häusern in die Obdachlosigkeit getrieben, Schwangere und Kranke nicht mehr versorgt, alte Menschen um ihren hart erarbeiteten Lebensabend betrogen, Schulessen wird einfach weggespart und öffentliche Investitionen in die Infrastruktur werden gestrichen.

Die LINKE fordert deshalb zurecht eine konsequente Regulierung der Finanzmärkte und das Verbot sinnloser und gefährlicher Finanzprodukte sowie eine demokratische und öffentliche Kontrolle des Bankwesens auf europäischer Ebene. Unsere Partei will keine Banken, die so groß werden können, dass sie systemrelevant sind und ihre »Rettung« erpressen, weil von ihrer Existenz Renten und ganze Volkswirtschaften abhängen. Wir wollen die Tätigkeit von Banken auf das zurückführen, wofür sie gedacht sind: Geld für produktive Investitionen bereitzustellen und den Spargroschen der Bürger und Bürgerinnen sicher und wirtschaftlich zu verwalten. Wer mit Geld spielen will, soll künftig für sich selbst haftend ins Casino gehen.

Ohne eine solchen Paradigmenwechsel im Bankwesen wird Europa in den kommenden Jahren weiter aufgespalten in einen armen Süden und ein reiches Zentrum mit Deutschland an der Spitze. Deutschlands materieller Reichtum und sein bisheriges vermeintliches Trotzen der größten Weltfinanzkrise seit 80 Jahren ist einer zeitlich begrenzten Exportstrategie zu verdanken. Deutschland lebt so auf Kosten der Ausbeutung von Ressourcen, der Umwelt und der Arbeitskraft in anderen Teilen Europas. Europäische Ungleichgewichte werden dadurch aber täglich verstärkt und Gegensätze und Ressentiments in und zwischen den Gesellschaften in Europa vertiefen sich. Rechtspopulisten und rechtsextreme Parteien versuchen die Existenzsorgen der Menschen für sich nutzbar zu machen, während nationalstaatliche Regierungen, so auch die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die aktuelle Krise immer weiter zum Abbau von Sozialleistungen und Löhnen nutzen und nicht müde werden, die Verantwortung dafür auf Europa abzuschieben.

Europa und die EU als Institution taugen als alleiniger Sündenbock für diese Entwicklung wenig. Die EU ist zur Geisel nationalstaatlicher Regierungen geworden und zum Tummelplatz von Lobbyisten mächtiger Interessengruppen, Banken und Konzerne. Sie sind es, die den Bestand der Gemeinschaft und ihrer Währung gefährden. Ihnen gilt es entschlossen entgegenzutreten. Wir müssen sowohl in Europa als auch in Deutschland für gute soziale Standards, um die Zukunft der Menschen, für einen Politikwechsel kämpfen und verhindern, dass immer mehr Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge in ganz Europa dem Markt geöffnet werden.

Auch für die Beantwortung der Frage, wie wir in Europa mit unseren Nachbarn und den Völkern weltweit zusammenleben wollen, ist die innere Verfasstheit und Ausgestaltung der Europäischen Union entscheidend. Der Schmerz gegenüber der Ungerechtigkeit in der Welt, gegenüber der Beteiligung an Kriegen, die gern im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus und für Frauenrechte geführt werden, das Gefühl der Wut und Ohnmacht beim Anblick der Bilder sterbender Flüchtlinge an Europas Außengrenzen, Hunger- und Umweltkatastrophen in Asien und Afrika dürfen uns weder blind noch kopflos machen. Ohne eine grundlegende Änderung der europäischen Politiken für mehr globale ökonomische Solidarität und Kooperation, die allen Weltregionen eine solide ökonomische und selbstbestimmte soziale Entwicklung ermöglicht, werden Hunger, Armut, Flucht und Ausbeutung weiter voranschreiten.

Wir setzen uns deshalb für eine grundsätzlich friedliche Außen-, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik ein. Krieg ist kein Ausweis von beherztem Handeln, er ist schlichter Ausdruck der Fortsetzung von ökonomischer Interessenpolitik mit militärischen Mitteln. Deeskalation in den internationalen Beziehungen auf allen Ebenen - Handel und Entwicklung, Bildung und sozialer Fortschritt - das sind linke Waffen im Kampf gegen Gewalt, Umweltzerstörungen und ökonomischen Druck.

Wir wissen, die Partei die LINKE ist nur ein Teil von vielen, die sich als Linke, als Freiheitsliebende und als Menschen mit Gemeinsinn verstehen, als StreiterInnen für mehr Gerechtigkeit und Anerkennung der Würde jeder und jedes Einzelnen. Wie wir verfolgen viele Menschen aus sozialem, feministischem, emanzipatorischem, ökologischem und aus gewerkschaftlichem Engagement ganz ähnliche Zielstellungen, wie wir es tun. Unsere Partei arbeitet deshalb mit den verschiedensten Gruppen, Vereinen, Gewerkschaften und Engagierten zusammen und ist für sie als glaubwürdige politische Bündnispartnerin da - in den Parlamenten und auf der Straße. In den vergangenen Jahren haben europaweit Millionen Menschen für ihre Rechte, für Demokratie und Mitbestimmung, für soziale Gerechtigkeit und bezahlbare Wohnungen, gegen Zwangsräumungen, Mieterhöhungen und Privatisierungen demonstriert. Die LINKE und die Europäische Linkspartei (EL), deren überzeugte Mitglieder wir sind, waren und sind Teil dieser Proteste. Mit unserer Fraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) waren und müssen wir weiterhin Sprachrohr dieser Proteste und Bewegungen in ganz Europa sein.

Um dies deutlich zu machen hat sich die Europäische Linkspartei auf ihrem Parteitag im Dezember 2013 in Madrid dazu entschieden, mit einem gemeinsamen europäischen Spitzenkandidaten in den bevorstehenden Europawahlkampf zu ziehen. Wir freuen uns darauf, mit unserem griechischen Genossen Alexis Tsipras, dem Parteivorsitzenden von SYRIZA, um Wählerstimmen zu kämpfen. Gemeinsam wollen wir in den kommenden fünf Jahren eintreten für eine radikale Reform der Europäischen Union und für eine sozial gerechte, friedliche und antifaschistische Politik im Europäischen Parlament. Die LINKE kann Europa verändern.

Der Text ist in der Tageszeitung neues deutschland am 27.1.2014 veröffentlicht worden
http://www.neues-deutschland.de/artikel/922051.fuer-eine-andere-eu.html

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