Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Privatsphäre und Transparenz statt Überwachung und Geheimhaltung

Rede zum Haushaltsplan 2015 des Innenministeriums

09.09.2014
Jan Korte, DIE LINKE: Privatsphäre und Transparenz statt Überwachung und Geheimhaltung

Jan Korte (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor wir uns den Haushaltsberatungen zuwenden, möchte ich für die Fraktion Die Linke zu dem, was in Wuppertal unter dem Stichwort Scharia passiert ist, zwei, drei Sätze verlieren. Ich fand die Reaktion des Innenministers und des Justizministers angemessen und sinnvoll. Wir sind auch bereit, wenn es nötig ist, uns konstruktiv in gegebenenfalls anstehende Gesetzänderungsverfahren einzubringen. Wichtiger finde ich aber, um das klar zu sagen: Was ist die richtige Antwort darauf, wenn religiöse Fanatiker, egal woher sie kommen, junge Menschen am Feiern hindern wollen? Die Antwort darauf kann nur sein, am nächsten Wochenende mehr zu feiern. Wenn religiöse Fanatiker jungen Menschen das Recht absprechen wollen, ordentliche Rockmusik zu hören, dann ist die Antwort darauf, mehr Rockmusik zu hören, und zwar noch lauter. Das ist die richtige Antwort der Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für uns als Politiker gilt natürlich, dass wir mehr individuelle Freiheit, mehr Rechte für Migranten, mehr Integration, mehr Teilhabe und vor allem mehr Wertschätzung auch für die vielen Tausend Muslime organisieren müssen, die in unserem Land mit uns zusammenleben.

(Beifall bei der LINKEN)

Mehr Lob ist heute nicht drin, Herr Minister.

Wir kommen nun zum zweiten Punkt. Ich meine, es ist schon bemerkenswert, dass Sie in Ihrer Rede nicht einen Satz zu Edward Snowden, zur NSA und zum Überwachungsskandal der letzten Monate verloren haben. Es ist wirklich der Hammer, dass Ihnen dazu nichts einfällt. Seit Snowden, seit über einem Jahr, ist unsere Gesellschaft - ich weiß ja nicht, inwieweit das bei Ihnen angekommen ist - eine andere geworden. Das Nichtstun der Bundesregierung liegt natürlich darin begründet, dass Sie im Hinblick auf den Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Kern dasselbe Denken haben - dass nämlich der Zweck die Mittel heiligt - und dass Sie natürlich ganz, ganz dicke darin verstrickt sind. Das haben wir hier schon oft dargelegt. Das hatte aber leider keine nachhaltige Wirkung.

Deswegen will ich heute einen anderen Gedanken vortragen; vielleicht bewegt er etwas im Hinblick auf Ihre Innenpolitik. Es geht um die Frage: Was bedeutet das, was wir von dieser Dimension seit mittlerweile über einem Jahr wissen, eigentlich für die Gesellschaft? Massenhafte anlasslose Überwachung ist ein schleichendes Gift für jede Demokratie. Der Soziologe Wolfgang Sofsky hat in einem treffenden Buch zur Verteidigung der Privatsphäre geschrieben:

Wer jederzeit damit rechnen muß, ins Visier zu geraten, der paßt sich freiwillig an.

Das ist bei all dem, was wir in den letzten Monaten gehört haben, die große Gefahr; denn das können wir nicht wollen. Wir wollen keine Anpassung. Wir wollen Widerspruch. Wir wollen Ungehorsam, Engagement und aufrechten Gang. In Ihrer Rede, die Sie eben vorgetragen haben, hätten Sie dazu etwas sagen müssen. Dass Sie das nicht getan haben, ist wirklich nicht zu fassen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und: Die freie Gesellschaft ist auf einen geschützten privaten Raum angewiesen, in dem wir unsere privaten, intimen, politischen Dinge bereden können, frei von Überwachung. Aber dafür tun Sie nichts.

Drittens. In genau dieselbe Richtung weist auch Ihr Verhalten im Hinblick auf die parlamentarische Kontrolle. Sie ist übrigens nicht nur für die Opposition, sondern auch für die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen wichtig. Sie sitzen hier ja nicht als Pressesprecher der Bundesregierung.

(Dr. Eva Högl (SPD): Nein! Natürlich nicht!)

Vielmehr haben gerade die Innenpolitiker, auch die der Koalitionsfraktionen, die Aufgabe, die Bundesregierung und die Behörden zu kontrollieren. Das klappt gar nicht.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Seit anderthalb Jahren verwenden wir - zumindest diejenigen, die parlamentarische Kontrolle ernst nehmen - am Telefon, sei es im Gespräch mit Mitarbeitern, sei es im Gespräch mit Journalisten oder sonst wem, die Redewendung: Nicht am Telefon.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie früher in der DDR, oder?)

Das kann doch nicht allen Ernstes der Normalzustand sein, wie wir parlamentarische Kontrolle ausüben! Es müsste Sie doch bewegen, dass es nicht mehr möglich ist, am Telefon parlamentarische Kontrolle zu organisieren. Das kann es nicht sein, und dagegen müssen wir, alle Parlamentarier, gemeinsam entschieden vorgehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns im Bereich der Kontrolle das Verhalten der Bundesregierung im Detail an. Es gab eine Anhörung im Untersuchungsausschuss. Nicht irgendjemand, sondern der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Hans-Jürgen Papier, sagte sinngemäß, dass die Auslandsaufklärung des Telekommunikationsverkehrs im Ausland durch den BND ohne eine gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist. Das ist, wie ich finde, ein durchaus massiver Vorwurf. Darüber kann man nicht einfach hinweggehen, wie Sie es leider tun.

Um hier ein wenig Bewegung hineinzubringen, hat meine Fraktion in Bezug auf die Aussage Hans-Jürgen Papiers und die Position der Bundesregierung eine detaillierte Anfrage formuliert. Sie haben es wirklich hinbekommen, auf elf detaillierte Fragen mit gerade einmal 13 Zeilen zu antworten - ohne einen Satz des Nachdenkens, ohne mit einem Satz die Vorwürfe von Hans-Jürgen Papier und anderen führenden Verfassungsrechtlern zu prüfen. Es ist doch wirklich nicht in Ordnung, gegenüber dem Bundestag, der hier eine Aufgabe zu erfüllen hat, so zu reagieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das nicht schon Hammer genug ist, will ich Ihnen nicht vorenthalten, was Sie in Ihren Abschlusssätzen schreiben. Die Bundesregierung antwortet - ich darf zitieren -:

Der Respekt vor dem Deutschen Bundestag gebietet, dass die Bundesregierung zunächst die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses abwartet. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses steht erst am Anfang. Aus den Ergebnissen wird die Bundesregierung die notwendigen Konsequenzen ziehen.

Zitat Ende. Das ist wirklich der Hammer, noch so einen frechen Satz hinterherzuschieben ‑ wo wir doch wissen, dass Sie vonseiten der Bundesregierung nun wirklich maßgeblich die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses mit allen Mitteln torpedieren. So eine Antwort ist wirklich der Hammer!

Übersetzt bedeutet das für alle Abgeordneten, egal welcher Partei sie angehören, dass Sie im Bereich der Innenpolitik nicht bereit sind, zum Thema Überwachung Kleine Anfragen zu beantworten, schriftliche Fragen zu beantworten, mündliche Fragen zu beantworten, weil ja der Untersuchungsausschuss noch tagt ‑ wahrscheinlich noch die gesamte Legislaturperiode. Wir alle, die wir im Bereich der Innenpolitik tätig sind, können nach Hause gehen, wenn bis dahin nichts mehr beantwortet wird. Ich finde, dieses Verhalten ist an Arroganz nicht zu überbieten, und fordere Sie wirklich auf, endlich Ihrer Aufgabe nachzukommen, der Opposition und überhaupt allen Parlamentariern, die gewählt worden sind, um Sie zu kontrollieren, ordentliche Auskunft zu geben!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem Sinne - vierter Punkt - geht natürlich auch der heute vorliegende Einzelplan 06 - Bundesinnenministerium - genau diesen Weg weiter. Um auch einmal an Zahlen zu verdeutlichen, was ich eben im Bereich der parlamentarischen Kontrolle darzustellen versucht habe, schauen wir uns einmal die Relationen an: Das BKA soll 416 Millionen Euro bekommen, das Bundesamt für Verfassungsschutz 209 Millionen Euro. Wie das dort aufgeteilt wird und ob wir das sinnvoll finden oder nicht, ist dann im Bereich der Haushaltsberatungen zu diskutieren. Aber wenn man sich anschaut, was die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit demgegenüber bekommen soll, muss man feststellen: Das sind schlappe 9 Millionen Euro - in einer Zeit, wo der Datenschutz angesichts von Überwachung und Geheimdienstkontrolle eigentlich auf Platz eins der Agenda des Innenministeriums stehen sollte.

Es geht noch weiter: Auch das IT-Sicherheitsgesetz, das Sie vorgelegt haben, werden wir in zukünftigen Haushaltsberatungen mit Zahlen untermauern müssen. Dafür sind vorgesehen - um noch ein paar Zahlen zu nennen - : 133 Stellen für das BSI, 79 Stellen für das BKA, 55 Stellen für das Bundesamt für Verfassungsschutz, ganze 4 Stellen für die Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Das ist nicht angemessen. Wir fordern Sie zu einer grundlegenden Umkehr in diesem Bereich auf, so auch in der Stellen- und Finanzpolitik im Bereich der Innenpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss. Meine Fraktion und ich meinen, dass wir in der Innenpolitik in der Tat einen grundlegenden Richtungswechsel brauchen. Wir brauchen eine Debatte über strukturelle Reformen bei den Geheimdiensten. Die sind lange angekündigt worden. Bis jetzt habe ich nur mitbekommen, dass beim Bundesamt für Verfassungsschutz ein Besucherzentrum eröffnet wurde; mehr habe ich noch nicht gehört.

(Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch schon einmal ein Anfang! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das andere ist geheim!)

Ich finde, das ist zu wenig. Wir sind im Übrigen bereit - und tun das auch als Linke -, mit den Geheimdiensten zu diskutieren, wie dort mehr Kontrolle, mehr Reformen, möglich sind. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz muss gestärkt werden, und sie muss schon vor 2016 völlig unabhängig werden.

Ich fasse zusammen: Der Bundestag muss auch im Bereich der Innenpolitik seiner Aufgabe gerecht werden können, die Bundesregierung, die Behörden zu kontrollieren. Deswegen: Hören Sie mit dem Mauern und Verweigern auf! Es ist grundsätzlich so, dass man den Oberen immer auf die Finger schauen sollte. Im Bereich der Innenpolitik muss man auch Ihnen von der Bundesregierung im Speziellen auf die Finger schauen. Das werden wir als linke Opposition mit großem Engagement und großer Freude weiter tun; darauf können Sie sich verlassen. Ich freue mich auf konstruktive Debatten in den nächsten Wochen und Monaten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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