LINKE für Prinzip der Freiwilligkeit bei Volkszählungen jeder Art

25.09.2014

Rede zu Protokoll zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes (Drucksache 18/2141)

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

mit dem hier heute zur Debatte stehenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes soll einer bevorstehenden Novellierung der EU-Verordnung (EG) Nr. 577/98 des Rates vom 9. März 1998 entsprochen werden. Durch die bereits 1968 erfolgte Kopplung des Mikrozensus mit der EU-Arbeitskräfteerhebung erscheint eine entsprechende Anpassung folgerichtig. Die beabsichtigten Änderungen sind zwar übersichtlich, haben aber durchaus relevante Auswirkungen.

Worum geht es im Detail?

Beim Mikrozensus werden vier Jahre lang jährlich ca. 830 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf detaillierte persönliche Fragen verpflichtet, deren Beantwortung nach Angaben des Statistischen Bundesamtes je Fall rund eine halbe Stunde dauern soll. Zudem werden jeweils 200 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf weitere Fragen verpflichtet, deren Beantwortung zusätzliche 15 Minuten in Anspruch nimmt. Wenn man sich der Beantwortung der Fragen verweigert, wird man mit Zwangsgeldern von bis zu 5.000 Euro bzw. ggf. Beugehaft bestraft.

Seit dem 15. März 1998 schreibt die EU-Verordnung zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der Gemeinschaft ein sogenanntes unterjähriges Erhebungskonzept vor. Das heißt nichts anderes, als das die Betroffenen nicht einmal, sondern mehrmals jährlich befragt werden sollen. Das bis heute gültige Mikrozensusgesetz lässt bislang aber eine unterjährige Erhebung nicht zu. Übergangsweise konnte Deutschland bei seinem davon abweichendem Erhebungskonzept bleiben, damit soll nun aber Schluss sein. Zudem sollen die Erhebungen vermehrt elektronisch durchgeführt werden, z. B. per Telefon oder Internet. Ein aus Datenschutzsicht nicht unproblematisches Unterfangen. Dazu später mehr.

Meine Fraktion hatte das Mikrozensusgesetz 2005 abgelehnt, weil aus unserer Sicht und nach Auffassung vieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, seine Notwendigkeit nicht konkret nachgewiesen, der Umfang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unverständlich bis diskriminierend gewesen ist. An dieser grundsätzlichen Kritik halten wir fest.

Doch selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass der Mikrozensus zur Erfüllung legitimer Zwecke nötig und unverzichtbar ist, dann erfordert die Verhältnismäßigkeit eben, dass es dann tatsächlich bei den Maßnahmen bleibt, die der jeweilige legitime Zweck, beispielsweise die Organisation des Länderfinanzausgleichs, erfordert. Für die Organisation des Länderfinanzausgleichs muss ich aber nicht wissen, welcher Religion der jeweilige Bürger anhängt oder wer noch alles bei ihm in der Wohnung lebt.

Mir ist im Übrigen auch kein einziger politischer Bereich bekannt, in dem es in letzter Zeit wegen fehlender „Daten“ zu problematischen Entscheidungen kam. Es ist zum Beispiel seit vielen Jahren hinreichend bekannt, dass es hierzulande viel zu wenig Kinderbetreuung gibt. Konkret fehlt es eben nicht an Daten, sondern am politischen Willen, dieses Problem zu lösen. Thilo Weichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, hat das sehr richtig folgendermaßen ausgedrückt: „Politische Fehlplanungen basieren nicht auf fehlenden Daten, sondern auf der falschen Bewertung vorhandener Daten.“

Aus unserer Sicht steht eine Zwangserhebung, und darum geht es ja beim Mikrozensus, auch im Widerspruch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Hier muss man sich doch die Frage stellen, ob der Staat und die Statistiker heutzutage nicht endlich auf die Mittel Auskunftszwang, Zwangsgelder und Drohbriefe verzichten können, wenn sie Informationen für bestimmte Projekte brauchen. Ich zumindest empfinde die gedankliche Unfähigkeit Bürgerinnen und Bürger zur freiwilligen Mitwirkung und Datenabgabe bewegen zu wollen, tatsächlich als rückständig und nicht-innovativ. Dass die „Datenqualität“ bei einer Mikrozensuserhebung auf Freiwilligkeit nicht aufrecht erhalten werden könnte, halte ich zudem für Zweckpropaganda auf Basis unbewiesener Gerüchte. Wenn Sie jetzt im Mikrozensusgesetz eine sogenannte „Experimentierklausel“ einfügen wollen, dann zeigen Sie doch auch mal etwas Mut und experimentieren Sie endlich mit einem ersten Freiwilligkeits-Praxistest.

Worum geht es heute noch? Das noch frische Bevölkerungsstatistikgesetz soll nach Ihrem Willen gleich mit aufgebohrt werden. Im Gesetzentwurf heißt es diesbezüglich:

„Das Bevölkerungsstatistikgesetz ist am 1. Januar 2014 in Kraft getreten. Bei der Vorbereitung seiner Umsetzung hat sich herausgestellt, dass weitere Hilfsmerkmale erforderlich sind, um die Qualität der Statistik insbesondere im Hinblick auf die Einwohnerzahl und deren Fortschreibung zu sichern und zu verbessern.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß zwar nicht wie es Ihnen geht, wenn Sie so etwas lesen oder hören, aber bei mir führt das zu Zweierlei: Erstens lässt es kein allzu großes Vertrauen in die Verfasser wachsen, die derart schwerwiegende Probleme nicht vorher erkannt haben. Und zweitens ist das genau das, was immer befürchtet wird: Zunächst wird ein Fuß in die Tür gestellt, alle beteuern Datensparsamkeit, und nur wenig später erweitert man dann die Datenerhebungen oder Verwendungszwecke über den ursprünglichen Zweck hinaus.

§ 13a (1) Punkt 2 erlaubt die „vorübergehende“ Zusammenführung von personenbezogenen Daten der Befragten (Hilfsmerkmale) mit deren weiteren Befragungsergebnissen (Erhebungsmerkmalen). Zwar steht dem die „Einwilligung der Betroffenen“ zuvor, aber dass die Aufhebung der Anonymisierung statistischer Daten im IT-System angelegt wird, besorgt mich und lässt mich grundsätzlich an der Sicherheit der Anonymisierung der Personendaten zweifeln. Rein sachlich gibt es ja gar keine Anonymisierung, sondern lediglich eine Pseudonymisierung. Dies ist aus meiner Sicht im Jahr eins nach Snowden alles andere als ausreichend.

Und an dieser Stelle möchte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ja mal fragen, wer von Ihnen schon einmal eine mehrjährige andauernde Mikrozensus-Befragung hinter sich gebracht hat. Das würde mich wirklich interessieren. Vor allem aber würde mich interessieren, ob diejenigen, die hier keinerlei Problem mit all dem erkennen lassen, auch freiwillig den 64 Seiten langen Fragebogen des derzeitigen Mikrozensus und seine 164 Fragen zu zahlreichen detaillierten persönlichen Angaben ausfüllen und diese Daten den IT-Systemen des Statistischen Bundesamtes übergeben würden. Ich glaube bei dem aktuellen Erhebungsdesign dürften das nicht allzu viele von Ihnen ehrlichen Herzens behaupten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Mikrozensus ist für viele von den Befragungen Betroffenen schon heute eine große Belastung. Die geplante mehrmalige Befragung der Leute pro Jahr macht das noch viel schlimmer und erhöht den Druck auf die Menschen. Dann von „kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger zu sprechen“ trifft es ja wohl nicht so ganz. Es sei denn, dass die mehrmalige Befragung pro Jahr den gesamten Befragungsprozess zeitlich reduzieren würde. Wenn also z.B. gleichviel Befragungen in zwei statt in vier oder fünf Jahren stattfinden. Ob das allerdings beabsichtigt ist, wird aus Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht deutlich. Und so muss man wahrscheinlich viel eher davon ausgehen, dass die Befragungen stattdessen im Umfang erheblich ausgeweitet werden.

Die Möglichkeit einer Ausweitung der elektronischen Befragungen z.B. durch Telefoninterviews halte ich aus Datenschutzgründen ebenfalls für schlecht. Wer kann garantieren, dass durch diese Praktiken nicht das Missbrauchsrisiko erheblich steigt? Wer kann ernsthaft davon ausgehen, dass die elektronisch erhobenen Daten angesichts immer neuer Erkenntnisse über Überwachungs- und Ausspähpraktiken staatlicher und privater Stellen sicher sind?

Zu guter Letzt kommen wir zu den von Ihnen prognostizierten Kosten. Nach Kostenkalkulationen des Statistischen Bundesamtes sowie der statistischen Ämter der Länder sollen durch die beabsichtigten Änderungen des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes bei Bund und Ländern einmalig Kosten in Höhe von insgesamt 872 601 Euro entstehen. Beim Bevölkerungsstatistikgesetz entstehen zusätzlich bei den Ländern jährliche Mehrkosten in Höhe von mindestens 64 000 Euro. Außerdem heißt es im Gesetzentwurf zu Mehrkosten beim BevStatG:

„Für die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die durch dieses Gesetz zu Datenlieferungen verpflichtet werden, entstehen für die Anpassung von vorhandenen Softwarelösungen ggf. einmalige Kosten, die angesichts der unterschiedlichen Gestaltung der jeweiligen Fachverfahren nicht beziffert werden können.“

Das ist ja nun nicht gerade sehr informativ. Besitzen Sie denn nicht wenigstens eine Schätzung mit welchen Kosten die zuständigen Stellen zu rechnen haben? Ohne wenigstens das annähernd absehen zu können, kann man doch so eine Änderung nicht seriös beschließen.

Zusammengefasst: Dieser Gesetzentwurf reiht sich in die voranschreitende Katalogisierung des Bürgers ein. Er setzt auf die Herrschaft der Zahl statt auf Qualitätspolitik. Meine Fraktion plädiert hingegen für das Prinzip der Freiwilligkeit bei Volkszählungen jeder Art und für den konkreten Nachweis der Erforderlichkeit von Zahlen für nachvollziehbare Zwecke. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie sich zu einer Umkehr für mehr Freiheit, Datenschutz und Datensparsamkeit durchringen könnten.

Vielen Dank