Bundesregierung will unabhängige Datenschutzbeauftragte klein halten

16.10.2014

Rede zu Protokoll zu TOP 16 der Bundestagssitzung vom 16.10.2014: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund durch Errichtung einer obersten Bundesbehörde Drucksache 18/2848

Jan Korte (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

vor fast 20 Jahren ist die EU-Datenschutzrichtlinie in Kraft getreten. Die Richtlinie sieht in Artikel 28 die Einrichtung von Kontrollstellen zur Überwachung der Datenschutzvorschriften vor und formuliert, ich zitiere: „Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr“. Diese Formulierung ist ziemlich eindeutig.

Und damit komme ich zum ersten Punkt: Es ist mir ein Rätsel, wie praktisch alle Bundesregierungen, inklusive der aktuellen, die Auffassung vertreten konnten, dass der oder die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit völlig unabhängig ist, wenn er oder sie einem Ministerium untersteht.

Noch vor kurzem hat mir die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt, erst mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Oktober 2012 seien die 2010 „offen gebliebenen Fragen nach der Zulässigkeit einer Dienstaufsicht sowie der Anbindung an den Haushalt und die Organisation einer anderen Behörde beantwortet worden“. Ich frage mich, wo man da allen Ernstes offene Fragen sehen konnte. Die „völlige Unabhängigkeit“ wird seit 1995 verlangt.

Diese besteht eben nicht, wenn die Bundesdatenschutzbeauftragte beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist und dessen Dienst- und Rechtsaufsicht untersteht. Die Bundesbeauftragte ist selbstverständlich nicht „völlig unabhängig“, wenn ihr vom Innenminister die Zeugenaussage verweigert werden kann. Wir sagen das seit Jahren, aber der Bundesregierung muss es erst die Generalinspektion Justiz der EU-Kommission erklären, welche kurz davor ist, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten, damit sie endlich handelt. Ich möchte mal daran erinnern, was für ein Gejammere hier im Bundestag und von diversen Landesinnenministern zu hören war, wenn es darum ging, dass die Bundesrepublik die kürzlich erfreulicherweise abgesägte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt hat. Da frage ich mich schon, warum man bei diesem klaren Fall so lange gezögert hat und so ein Risiko eingegangen ist.

Dieser Gesetzentwurf war also längst überfällig um die formale Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten sicherzustellen, wie wir es schon lange fordern. Vor zehn Jahren hätte man sich darüber gefreut. Unter den heutigen Umständen – in Anbetracht der riesigen Aufgaben vor denen der Datenschutz heute steht – ist es kaum zu fassen, dass Sie eine neue Bundesbehörde für Datenschutz einrichten und diese mit nur vier neuen Stellen ausstatten. Das ist mein zweiter Kritikpunkt. Nach meinen Informationen werden dann ab 2016 genau 91 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bundesbeauftragten für Datenschutz und die Informationsfreiheit arbeiten. Zum Vergleich: Alleine die Abteilung „Beratung und Koordination“ des Bundesamts für Sicherheit im Informationswesen hat 99 Stellen. Die Abteilung „Cybercrime“ beim Bundeskriminalamt hatte Anfang 2014 123 Stellen, in der [Klarstellung vom 12.11.2014:] unter anderem für „Cyberspionage“ zuständigen BKA-Abteilung „Cyberspionage“ arbeiten 758 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von den Stellenaufstockungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz mal ganz zu schweigen.

Diese Zahlen zeigen, dass die Bundesregierung offenbar ein Problem erkannt hat und die ihr untergeordneten Behörden stärkt, wenn es um Spionage und Datensicherheit geht. Profitieren tut sie allerdings nur selbst und, je nach Erfolg und Auftrag der Sicherheitsbehörden, die Wirtschaft. Eine Verbesserung des Datenschutzes für die allgemeine Bevölkerung hingegen ist der Bundesregierung genau vier Planstellen wert – und selbst diese sollen nur den „erhöhten Vollzugsaufwand“ in einer eigenständigen Behörde kompensieren. Wenn meine Kolleginnen und Kollegen von der Union und der SPD hier erklären, wie wichtig Datenschutz sei, dann sollen sie hier ganz konkret den Worten Taten folgen lassen und die neue Behörde ihrem Auftrag entsprechend ausstatten.

Ich komme zum dritten und wichtigsten Punkt: Die Bundesregierung muss die Datenschutzbeauftragte zwar formal in die Unabhängigkeit entlassen, sorgt aber gleichzeitig nicht nur bei der Stellenausstattung, sondern auch im Gesetzentwurf dafür, dass ihr die neue Behörde nicht auf die Füße tritt. Während das derzeit gültige Bundesdatenschutzgesetz die Aussage der Bundesdatenschutzbeauftragten erlaubt, es sei denn, die Aussage würde „dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren“, soll die Bundesbeauftragte – ich zitiere aus dem §23 Absatz 6, wie er zukünftig nach dieser Vorlage lauten soll – zukünftig besonders auf die „Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ und die „Beziehungen zu anderen Staaten“ Rücksicht nehmen. Und es kommt noch toller, ich zitiere aus dem Gesetzentwurf: „Betrifft die Aussage laufende oder abgeschlossene Vorgänge, die dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung zuzurechnen sind oder sein könnten, darf die oder der Bundesbeauftragte nur im Einvernehmen mit der Bundesregierung aussagen.“

Dieser Absatz klingt nicht nur so, als sei er für den NSA-Untersuchungsausschuss maßgeschneidert, er ist praktisch ein Freibrief für die Bundesregierung: Die Bundesbeauftragte könnte theoretisch Rechtsverstöße feststellen, dürfte aber nur darüber reden, wenn die Bundesregierung einverstanden ist. Wenn diese Karikatur von transparentem, demokratischen Regierungshandeln hier in unserem Parlament mehrheitsfähig ist, dann gute Nacht. Zum Glück haben wir noch Zeit, diesen Gesetzentwurf hier zu diskutieren und ich appelliere an Sie, liebe Kolleginnen, diesen Maulkorbabsatz so nicht stehen zu lassen.

Die Schaffung einer neuen unabhängigen Bundesbehörde der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sollten wir als Chance begreifen, die Einrichtung mit der Ausstattung und auch mit den Sanktionsinstrumenten auszustatten, die sie benötigt. Es ist Aufgabe der Bundesdatenschutzbeauftragten, das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung zu schützen – es gibt keinen Grund, warum sie die Mittel dafür nicht bekommen sollte. Und es gibt keinen Grund für die Regierung eines demokratischen Rechtsstaats, vor einer wirkungsvollen Datenschutzbehörde Angst zu haben.

Vielen Dank