Mehr Solidarität, mehr Demokratie, weniger Geheimdienste!

09.09.2015
Jan Korte, DIE LINKE: Mehr Solidarität, mehr Demokratie, weniger Geheimdienste!

Rede im Bundestag zur ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) - Einzelplan 06: Innenministerium

Jan Korte (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will gleich daran anknüpfen, glaube aber, dass das Einerseits-andererseits in der Situation, in der wir uns befinden, leider nicht mehr angemessen ist. Im Herbst 2015 erleben wir ein mehrfach gespaltenes Land. Herr Innenminister, Sie haben zwei Vorgänge angesprochen. Auf der einen Seite gab es eine großartige Welle von Solidarität mit Flüchtlingen und Mitmenschlichkeit - man kann auch „Nächstenliebe“ sagen. Ich denke dabei an München, Saalfeld oder meinen Wahlkreis, wo Sportvereine Lauftraining für Flüchtlinge organisieren. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass jeden Tag eine Unterkunft angezündet und abgefackelt wird und dass es in den sozialen Medien geradezu Vernichtungsphantasien nachzulesen gibt.

Es gibt - das haben Sie, wie heute schon viele Redner, erwähnt - das Bild des kleinen Aylan Kurdi, das uns alle mehr als bewegt hat. Jedoch gibt es eine genauso schlimme Fortsetzung. Jeden Tag ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer, Frauen, Kinder und Männer. Es geht einfach so weiter. Und Sie weigern sich, endlich die richtige Antwort zu geben, nämlich legale und sichere Einreisewege zu erlauben. Das wäre eine Antwort der Menschlichkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Woche ist es, glaube ich, in der Tat für alle hier im Hause von entscheidender Bedeutung, sich zu entscheiden, wo man steht. Sag mir, wo du stehst? Das ist in dieser Woche die entscheidende Frage, die Sie beantworten müssen, vor allem Sie, liebe Freunde von der CSU. Denn es gibt im etablierten Politikbetrieb - ich will es einmal zuspitzen - zwei Möglichkeiten: Entweder machen Sie es wie die Landesregierung in Thüringen, die versucht, auch in der etablierten Politik eine Willkommenskultur zu leben, bei der selbst der Ministerpräsident die Flüchtlinge am Bahnhof begrüßt. Oder Sie machen es wie Teile der CSU.

Ich will das mit Zitaten belegen: Ihr Generalsekretär Scheuer - ich darf zitieren - sagt: "Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen nur nach Deutschland muss gestoppt werden." Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, sagt: "Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan." Und der bayerische Innenminister Herrmann, der ja gerade als besonders kompetenter Integrationsexperte aufgefallen ist, sagt zu der richtigen Entscheidung der Bundesregierung, die Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, dass dies - Zitat - „ein völlig falsches Signal innerhalb Europas“ sei. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weiter rumzündeln oder bei denen stehen wollen, die Solidarität und Nächstenliebe großschreiben. Das ist die entscheidende Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang - auch weil Sie, Kollege Spahn, gerade anwesend sind; das richtet sich aber auch an die Kollegin Schröder und an meine alte Bekannte, Erika Steinbach - sage ich: Diejenigen, die im Kern aus Unterkünften für Menschen Krematorien machen wollen, auch nur ansatzweise mit denen in eine Reihe zu stellen, die sich davorstellen, um dies zu verhindern, die elendige Gleichsetzung von links und rechts muss sofort aufhören. Dafür ist im Übrigen auch eine Entschuldigung fällig, um das klar zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber in der Innenpolitik läuft es insgesamt nicht gut. Sie können sich das nicht vorstellen;

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

aber ich will versuchen, nachzuweisen, dass es auch sonst in der Innenpolitik nicht gut läuft.

Wir hatten die NSA-Affäre. Was heißt, wir hatten? Sie läuft Tag für Tag weiter. Aufklärung durch die Bundesregierung und den Innenminister: völlige Fehlanzeige! Handyüberwachung, Wirtschaftsspionage und die Beihilfe der deutschen Dienste: Auch das war folgenlos. Es geht alles so weiter.

Dann gab es im Sommer einen der größten Knaller in Ihrer Amtszeit. Wenn kritische Journalisten erfreulicherweise darüber berichten, was Sie uns nicht sagen - weder dem Parlament noch der Öffentlichkeit -, dass nämlich die Überwachungsinfrastruktur in einem kaum noch fassbaren Ausmaß immer weiter ausgebaut wird, dann wird beim Bundesamt für Verfassungsschutz durch seinen Präsidenten die ganz große Keule herausgeholt, übrigens ein Relikt aus den 50er- und 60er-Jahren, und Herr Maaßen erstattet Anzeige wegen Landesverrat. Ich sage - Sie haben das auch schon auf Anfragen der Grünen und der Linken eingeräumt -: Natürlich wussten das BMI und das Kanzleramt, was dort abläuft und was geplant worden ist. Präsident Maaßen, mit dem ich mich oft und gerne streite, ist ein sehr, sehr deutscher Beamter, und bei solch einem schwerwiegenden Vorgang ist es schlicht nicht zu glauben, dass der oberste Dienstherr und das Kanzleramt das nicht wusste und nicht involviert war. Dazu kam von Ihnen hier und auch vorher nichts. Es ist das Mindeste, sich dafür zu entschuldigen und die Landesverratsbestimmungen dahin zu befördern, wohin sie gehören, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es läuft in der Innenpolitik in der Tat sehr viel schief. Ich habe leider nur wenig Redezeit.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Gott sei Dank!)

Man könnte noch so viel sagen, nämlich dass ausgerechnet in dieser Situation das Bundesamt für Verfassungsschutz erneut 20 Millionen Euro mehr bekommt. In zwei Jahren bekommt es 45 Millionen Euro mehr. Dabei ist es weiter intransparent. Wir können leider nicht im Detail miteinander diskutieren, an welchen Stellen wir es für sinnvoll und an welchen Stellen wir es für unsinnig halten; denn es wird weiter alles unter Verschluss gehalten.

Der Einzelplan 06 ist ein in Zahlen gegossenes Dokument einer grundsätzlich verkehrten Richtung in der Innenpolitik. Schalten Sie um auf mehr Solidarität, mehr Grundrechte und mehr Datenschutz! Denn das führt zu einer offeneren Gesellschaft, und die brauchen wir. Wann, wenn nicht jetzt?

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)