LINKE warnt vor Datenkraken Statistikamt

29.04.2016

Rede zu Protokoll vom 28.04.2016 zu TOP 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer Statistikgesetze (Drucksache 18/7561)

Sehr geehrter Herr Präsident,

werte Kolleginnen und Kollegen,

wir beraten hier heute einmal mehr ein datenschutzrelevantes Thema, welches auf den ersten Blick nicht nur staubtrocken, sondern auch unbedeutend daherkommt. Dem ist aber mitnichten so. Denn das Bundesstatistikgesetz regelt das gesamte Organisations- und Verfahrensrecht der Bundesstatistik in Deutschland. Der Kollege Ostermann hatte deshalb richtigerweise in der ersten Lesung bereits festgestellt, dass unsere Debatte, „die informationelle Basis unseres Staates und damit unserer Gesellschaft betrifft“.

Worum geht es dabei genau?

Es ist unbestreitbar, dass die Politik auf verlässliche statistische Daten zur wirtschaftspolitischen Steuerung und zur Planung des Ressourceneinsatzes für den Erhalt und Ausbau öffentlicher Infrastruktur angewiesen ist. Die aktuelle Novellierung soll einerseits das Bundesstatistikgesetz „praxisgerecht“ modernisieren sowie Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger bei der Erstellung von Statistiken durch Rückgriff auf bereits vorhandene Verwaltungsdaten entlasten. Die Vermeidung aufwendiger Befragungen von Bürgern und Unternehmen durch die Nutzung ohnehin schon vorhandener Daten leuchtet ein. Allerdings gehen mit den zentralisierten Zusammenführungen der zahllosen behördlichen Datensammlungen aus unserer Sicht auch etliche Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung einher.

Zumal die Gesetzesänderungen im Gefolge einer Harmonisierung auf EU-Ebene, die sicherlich sinnvoll ist, allerdings auch mit einer Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen einhergeht. Zugleich sieht der Gesetzentwurf eine nicht hinzunehmende Absenkung der Hürden für die Anordnung freiwilliger Erhebungen vor. Sie wollen die Anforderung aus dem Gesetz streichen, dass Erhebungen zur Vorbereitung und Begründung anstehender Entscheidungen dienen sollen. Gegen diese Streichung hat auch die Bundesdatenschutzbeauftragte protestiert. Aber Kritik aus dieser Richtung zu ignorieren, ist ja offenbar inzwischen Leitlinie ihrer Politik im Bereich des Datenschutzes geworden.

Bedenken haben wir, anders als die Datenschutzbeauftragte, hinsichtlich der in §13 (2) vorgesehenen Einführung eines bundesweiten Anschriftenregisters. Mit dem Anschriftenregister könnte eine neue Superdatenbank über die Bevölkerung in Deutschland entstehen. Nach der Gesetzesbegründung soll damit die Grundlage für stichprobenartige Erhebungen und Befragungen wie dem Mikrozensus geschaffen werden. Nun stellt sich schon die Frage nach der Notwendigkeit eines Mikrozensus, wenn die Datenbasis des Statistischen Bundesamtes durch Rückgriff auf Verwaltungsdaten ohnehin deutlich ausgedehnt wird. Neben den klassischen Bestandteilen einer Anschrift wie der postalischen Adresse, der Geokoordinate zur eindeutigen Identifizierung des Grundstücks sowie einer Ordnungsnummer zur Unterscheidung der einzelnen Datensätze sollen auch die ‚Gesamtzahl der Personen‘ je Anschrift sowie die ‚Wohnraumeigenschaft‘ im Sinne von Gebäude mit Wohnraum, mit potentiellem Wohnraum oder ohne Wohnraum gespeichert werden. So eine Sammlung ist aus unserer Sicht sehr heikel und könnte in gewisser Form ähnlich wie eine Identifikationsnummer wirken, insbesondere dann, wenn diese „Ordnungsnummer“ mit anderen Datensätzen und Datenbänken verknüpft wird. Es handelt sich derzeit dabei zwar um ein statistikinternes Register, das damit sowohl den üblichen datenschutzrechtlichen Regelungen als auch dem Statistikgeheimnis unterliegt und dessen Angaben daher nicht übermittelt werden dürfen, solange dafür keine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung besteht. Aber die Erfahrung zeigt doch, dass das Vorhandensein solcher Daten allein schon Begehrlichkeiten bei allerlei Behörden weckt. Das Anschriftenregister ist daher aus unserer Sicht überflüssig und gefährlich.

Problematisch erscheint mir überdies, dass künftig „zur Pflege und Führung des Registers […] Angaben aus Bundes- und Landesstatistiken sowie aus allgemein zugänglichen Quellen verwendet werden [dürfen].“ In Zeiten zunehmender Digitalisierung des Alltags samt sollte man es staatlichen Behörden nicht ohne weiteres erlauben, sogenannte „allgemein zugängliche Quellen“, die zur Rasterung dienen können, zu nutzen.

Formulierungen wie in Absatz (3) §11a, wonach „bei der elektronischen Übermittlung […] ein dem Stand der Technik entsprechendes Verschlüsselungsverfahren zu verwenden [ist]“ sind ebenfalls unzureichend. Es ist nicht nachvollziehbar, warum nicht explizit höhere Anforderungen, ähnlich wie die vom BSI für die Verschlüsselung der Vorratsdatenspeicherungs-Daten verlangten, gestellt werden. Es geht schließlich um massenhafte sensible personenbeziehbare Datensätze der Bürgerinnen und Bürger. Vor diesem Hintergrund halte ich auch die Vorgaben für die gesonderte Speicherung der unterschiedlichen Datensätze in § 12 für technisch unpräzise und unzureichend.

Auch das nun in §15 (4) die Möglichkeit zur telefonischen statistischen Befragung massiv ausgeweitet wird, halte ich für bedenklich. Wie soll sich ein Telefongesprächspartner ausweisen bzw. als „zulässiger, echter“ „Erhebungsbeauftragter“ verifizieren? Wie will man den möglichen Missbrauch eindämmen? All diese Fragen sind leider bislang ungeklärt oder unbefriedigend beantwortet worden.

Damit aber nicht genug: die Länder sollen weitergehend als bislang zur Anlieferung von Daten an das Bundesamt verpflichtet werden. Kein Wunder, dass vom Bundesrat massive Bedenken gegen den Gesetzentwurf geltend gemacht wurden, die sich auf die föderale Zuständigkeitsordnung beziehen. So sollen nach einzelnen Regelungen Verwaltungsdaten der Kommunen direkt an das Bundesamt gegeben werden. Der Bundesrat fordert, dass die Prüfung der Geeignetheit der Daten für eine statistische Aufbereitung bei den Ländern verbleiben soll. Bei der Umgestaltung des Unternehmensregisters fühlten sich die Bundesländer zu Recht zu bloßen Zulieferern von Daten herabgestuft. In der Folgenabschätzung des Gesetzentwurfs ist noch nicht einmal angegeben, welcher Erfüllungsaufwand sich für die Länder schon allein durch gesetzliche Anpassung und der Änderung von Verordnungen ergibt, zu Kosten äußert sich der Entwurf an dieser Stelle gar nicht. Darauf hat auch der Normenkontrollrat hingewiesen.

In einem Änderungsantrag ist die Koalition nun immerhin zum Teil auf diese Bedenken eingegangen. Bei der Anforderung von Daten, die auf kommunaler Ebene erhoben werden, soll nun zumindest das Benehmen mit den eigentlich zuständigen Landesämtern hergestellt werden. Das ist gut, reicht aber bei weitem nicht aus.

Wie eingangs bereits betont: Erhebungen stellen eine wichtige Grundlage zielgerichteten staatlichen Handelns dar. Statistiken sollen und können helfen, die Welt zu verstehen, um sie besser zu machen. Das Bundesstatistikgesetz sieht deshalb vor, dass „gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge aufgeschlüsselt“ werden.

Meine Fraktion will, dass Politik und Verwaltung verlässliche Daten zur Verfügung haben. Dies darf aber nur unter strikter Beachtung und Einhaltung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung geschehen. Den vorliegenden Gesetzentwurf können wir, trotz der Nachbesserungen, aufgrund der oben geschilderten Bedenken, nicht mittragen. Wir werden uns deshalb enthalten.

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