Ins Getümmel dieser Gesellschaft werfen

Rede von Jan Korte auf dem Parteitag der LINKEN Rheinland-Pfalz am 17.1.2018 zur Lage der Linken und der Bundestagsfraktion

21.02.2018
Rede von Jan Korte auf dem Landesparteitag

Liebe Genossinnen und Genossen,

erstmal schönen Dank für die Einladung. Gestern, ihr habt es mitbekommen, war ein guter Tag, das will ich natürlich nochmal für uns als LINKE sagen. Dass Deniz Yücel endlich aus dem Knast der Türkei gekommen ist, freut uns. Jetzt muss es darum gehen, dass auch die anderen Inhaftierten freigelassen werden und diese Bundesregierung klare Kante zeigt und die schmutzigen Rüstungsdeals mit der Türkei gestoppt werden. Und nicht irgendwann, sondern jetzt sofort.

Als ich die Einladung bekam und ich fragte: „Wie lange kann ich denn reden?“ und dann soviel Redezeit bekam, wie ich wollte, war ich natürlich völlig von den Socken. Denn ihr kennt das ja im Bundestag mit den vier oder fünf Minuten. Und deswegen habe ich mir relativ viele Gedanken gemacht, was man erzählen könnte. Etwas das erstens Interessant ist, was ein wenig Kritik formuliert, aber uns natürlich nach vorne bringt. Deswegen sind wir ja zusammen. Und dafür will ich schon noch ein paar Sachen aufzeigen und auch ein wenig zurückblicken.

Zunächst einmal das Ergebnis der Bundestagswahl in Rheinland-Pfalz. Hier hatten wir ein hervorragendes Ergebnis. Seitdem habt Ihr nicht nur zwei Abgeordnete in Berlin, sondern drei. Das ist ein großer Erfolg und darüber muss man doch mal sprechen, liebe Genossinnen und Genossen.

Ich habe gesehen, ihr habt rund 100 kommunale Mandate in Rheinland-Pfalz. Und im Frühjahr 2019 – und das ist von entscheidender Bedeutung für unsere Partei – müssen wir in Rheinland-Pfalz diese Mandatszahl verdoppeln. Wir brauchen 200 Mandate und darum müsst ihr kämpfen. Denn das ist die Voraussetzung, um danach in den Landtag einzuziehen, wenn wir in der Kommune verankert sind, liebe Leute. Darum müssen wir kämpfen und alle Kraft da rein stecken.

Ich habe gestern im Zug gesessen und mir die Parteitagsunterlagen durchgeguckt, und da war wirklich ein Knaller dabei, das will ich jetzt schon nochmal sagen. Also, ich bin die Mappe, die mir gepackt wurde, durchgegangen und klappe das auf und sehe: „Leitantrag“. Das ist in der Regel das Schlimmste, was es gibt auf Parteitagen. 20 Seiten „Blabla“, was keiner liest. Nicht mal die Hälfte der Delegierten selber. Und das will ich wirklich sagen: Das ist hervorragend, einen Leitantrag hier vorzulegen, mit fünf Punkten, darauf konzentriert, was Thema in diesem Land ist und vor allem, was unsere Stärke ist. Das wünsche ich mir in der Bundestagsfraktion und auf allen Ebenen. Schluss mit dem Geschwafel, Konzentration auf das, was wir können, liebe Genossinnen und Genossen. Das ist gut, wie ihr das gemacht habt, davon bin ich ganz schwer beeindruckt und werde es überall weitererzählen. Blöd wäre jetzt natürlich, wenn ihr das gleich alles ablehnt. Aber das müsst ihr selber entscheiden.

Ich möchte noch einen kurzen Rückblick zu dem Ergebnis der Bundestagswahlen machen. Auch daran will ich einmal erinnern. Wir hatten ein gutes Ergebnis bundesweit. Wir haben 9,2 % der Stimmen geholt. Wir haben im Bundestag vier Mandate mehr. Wir sind jetzt 69 Abgeordnete und das bei einer extrem schwierigen Lage. Und eines haben wir bei der Wahl gesehen: Wenn wir geschlossen sind und um ein Ziel kämpfen, dann haben wir auch hervorragende Wahlergebnisse und in diesen Zeiten muss das die Leitschnur sein. 9,2 % ist ein gutes Ergebnis und wenn schon die Medien darüber nicht berichten, dann ist es doch das Mindeste, dass wir selbstbewusst berichten, dass wir einen Erfolg hatten und nicht mit so einer Flappe durch die Gegend ziehen. Das ist von entscheidender Bedeutung deutlich zu machen: Wir gehören zu den Wahlgewinnern, wir haben mehr Mandate, wir haben zugelegt und dazu gehört auch ein Dank an unsere Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die einen hervorragen Job gemacht haben. Auch das muss gesagt werden.

Wir hatten zugegebenermaßen einige Startschwierigkeiten in der Bundestagsfraktion. Das konnte ja auch nicht geheim gehalten werden. Das machen wir immer sehr transparent, wenn es bei uns Konflikte gibt. Aber die gute Nachricht ist: Im Gegensatz zu anderen Parteien, haben wir alles entschieden. Wir haben alles entschieden und ich will in dem Zusammenhang als parlamentarischer Geschäftsführer euch noch ein paar Sachen berichten, was wir denn in Berlin so gemacht haben. Denn wir haben schon einiges bewegt mit unserer neuen, gestärkten Bundestagsfraktion.

Dass nunmehr die Fachausschüsse eingesetzt worden sind und die Arbeit und die Kontrolle der Regierung beginnen kann, das ist unser Verdienst. Ich darf mal daran erinnern, dass wir auch in den Medien, eine kritische Debatte wie noch nie über die perversen Rüstungsexporte durch Deutschland in alle Welt haben. Das haben wir durch unsere parlamentarische Arbeit auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist von erheblicher Bedeutung, dass wir es geschafft haben – als nicht die größte Fraktion bekanntermaßen – Themen zu setzen. Das ist ganz entscheidend.

Und ich will euch auch mal ein bisschen Statistik mitgeben. Auch das müssen wir weitersagen: Die linke Fraktion im Bundestag ist natürlich nicht nur die Beste. Das ist ja klar, sondern sie ist auch die Fleißigste. Seit der Bundestagswahl hat unsere Fraktion 140 kleine Anfragen gestellt, 39 Anträge ins Plenum eingebracht und 7 Gesetzentwürfe eingebracht. Damit sind wir auf Platz 1 der fleißigsten Fraktionen. Und das hat nicht einfach etwas mit Fleißbienchen zu tun, sondern wir nehmen unsere Aufgabe ernst, diese Bundesregierung zu kontrollieren. Das ist ein großer Erfolg. Und wenn wir von den Fleißigsten reden, dann muss man natürlich logischerweise von den Faulsten reden:

Die SPD Bundestagsfraktion. 153 Mitglieder – ich darf daran erinnern! Null kleine Anfragen, 16 Anträge und 2 Gesetzentwürfe. Und jetzt kommt die größte Fraktion des Bundestages, nämlich die CDU/CSU mit 246 Mitgliedern der Bundestagsfraktion. Die bringen es allen Ernstes auf null kleine Anfragen und auf 12 Anträge. Das ist doch wirklich ein dolles Ding und das müssen wir weitererzählen und das müssen wir auch den Abgeordneten der CDU vor Ort sagen. Was macht ihr eigentlich? Ihr seid nicht die Pressesprecher der Bundesregierung, sondern Ihr habt einen Job zu machen. Jeder einzelne Abgeordnete! Und dazu gehört, mit der parlamentarischen Arbeit zu beginnen!

Liebe Genossinnen und Genossen, bevor ich ein paar Überlegungen zur gesellschaftlichen Situation machen möchte, in der wir sind – nicht nur in Deutschland, in Europa, vielleicht sogar auf der Welt – will ich schon nochmal zurückblicken auf das, was gerade im politischen Berlin so passiert. Es kommt mir ja vor, als ob das schon Jahre her ist. Ich will nochmal daran erinnern, an das Scheitern der Jamaika-Koalition. Das ist übrigens, um das auch klar zu sagen, eine sehr gute Nachricht für dieses Land, dass diese Koalition gescheitert ist. Denn das sind drei Parteien, oder besser gesagt vier, CDU/CSU, FDP und Grüne, die mit der sozialen Frage nichts zu tun haben. Die haben damit nichts zu tun und deswegen ist es gut, dass diese Koalition gescheitert ist. Und bei der FDP, um das auch nochmal zu sagen – was für eine tolle bunte oder schwarz/weiß Kampagne die auch immer machen mögen – ist nichts neu. Das ist der ganze selbe neoliberale Mist, wie sie ihn auch in den letzten 20 Jahren abgeliefert haben. Das einzig Neue dabei ist, dass sie mit Rechts und Ressentiment kokettieren. Das ist das einzig Neue bei der FDP. Deswegen kann man ja wohl ein Haken dranmachen.

Und zu den Grünen will ich auch noch etwas sagen, das ist ja ganz interessant. Also seit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen sind ja die Grünen in einer Dauerdepression. Den Grund hört man raus, bei den Interviews, die sie geben: Und zwar aus dem Grund, weil sie nicht mit der FDP, mit der CDU und auch nicht mit der CSU koalieren dürfen. Wie weit ist es mit den Grünen eigentlich gekommen, dass sie flennen, nicht mit der CSU koalieren zu dürfen? Da stimmt doch etwas nicht. Und ich will das schon sagen. Für den Aufstieg der Rechten gibt es viele Gründe, über die ich nachher noch ein paar Sachen sagen möchte, aber es hat auch etwas zu tun mit Parteien, wie der CSU, die durch das Nachplappern von rechtem Vokabular und rechten Inhalten, rechtsextremes Gedankengut überhaupt erst hoffähig gemacht haben. Das müssen wir deutlich sagen, laut und deutlich.

Ich glaube ja, dass die Grünen mit ihrem Parteitag und ihrer nun mehrjährigen hardcore-realo Doppelspitze einen bestimmten Weg abgeschlossen haben. Das ist in Ordnung, das muss jede Partei mit sich klarmachen. So ist das nun mal. Doch eins fand ich dann doch interessant bei dem Grünen Bundesparteitag. Die geradezu überschwängliche Freude der Medien über die neue Führung der Grünen. Also das war schon ein dolles Ding. Wenn wir auf einem Parteitag von uns in unserer Geschichte auch nur einmal ein Viertel von einer solchen begeisterten Berichterstattung hätten, dann würden wir sehr viel besser dastehen. Das fand ich wirklich, sehr, sehr interessant. Interessant ist auch: In allen Umfragen auf der Bundesebene sind die Grünen immer deutlich vor der Linkspartei. Und jetzt kommt die gute Nachricht für uns: Am Wahlabend sind die Grünen grundsätzlich beim realen Ergebnis hinter der LINKEN und das wird auch so bleiben, liebe Genossinnen und Genossen. So sieht es nämlich aus.

Jetzt kommt wirklich auch ein nachdenklicher Teil. Die Aussicht auf eine Forstsetzung der großen Koalition ist nicht gut. Das ist durch und durch nicht gut für das Land. Erstmal aus sehr grundsätzlichen Erwägungen. Die große Koalition ist eigentlich eine Ausnahmeregel im Parlamentarismus gewesen. Sie ist nicht vorgesehen. Und wir sind jetzt in einer Situation, wo diese große Koalition zu einem Dauerzustand wird. Auch dieser Dauerzustand der angeblichen Alternativlosigkeit zur großen Koalition, auch der hat die Rechten gestärkt, um es einmal deutlich zu sagen, weil die Alternativen verwischten. Das gehört zur Erzählung dazu, und darauf muss man hinweisen. Denn eins dürfen wir nicht zulassen – das ist unsere Hauptkampfaufgabe – bei einer weiteren großen Koalition müssen wir stärker werden, wir müssen besser werden, damit wir österreichische Verhältnisse verhindern. Denn sonst führt das zu österreichischen Verhältnissen, liebe Genossinnen und Genossen.

Und ich sage etwas zum Zustand der CDU und CSU, der ist ja nun auch nicht gut. Angela Merkel hat einen mentalen Zustand erreicht nach 12 Jahren Kanzlerin, wie Helmut Kohl nach 16. Das ist ja die Situation in der wir sind, und das ist nicht gut für die Demokratie. Wenn man sich die Debatten bei der CDU/CSU nun anguckt – die jungen wollen jetzt ran, ihr kennt das alles und so weiter und sofort – bemerkt man ein Problem: Es wird leider nicht besser, sondern wird nämlich noch schlimmer. Ich habe auf der Fahrt hierhin einen Eintrag gesehen auf den sozialen Medien, ein Bild in schicken Klamotten von den großen Nachwuchstalenten der CDU/CSU. Nämlich von Jens Spahn und Dorothee Bär, die im edlen Zwirn auf dem Opernball in Österreich mit ihrem großen Vorbild, dem dortigen Kanzler, kurz posieren für die Presse. Das ist derjenige der mit Rechtsradikalen eine Koalition gebildet hat. Und das soll die Hoffnung für die CDU/CSU sein? Man muss es verhindern, dass diese Leute ans Ruder kommen, liebe Genossinnen und Genossen.

Noch kurz ein paar Anmerkungen zur SPD. Was dort gerade abgeht, das macht mich in der Tat fassungslos. Das ist nicht zu verstehen, wie man mal so sein kann, und mal so. Wenn man als einzige Linie die völlige Beliebigkeit hat, dann fährt man auf den Abgrund zu. Also, wir sind ja in Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer war ja – wenn ich es richtig nachgelesen habe – eine extreme Kritikerin einer neuen großen Koalition. Jetzt ist Malu Dreyer eine extreme Befürworterin der großen Koalition. Liebe Leute, so geht es nicht. So geht es nicht und so kriegt man den Laden nicht nach vorne. Und es ist auch nicht im Interesse der Linkspartei, dass die sozialdemokratische Partei den Weg der Parti Socialiste in Frankreich geht, die zu einer Splitterpartei geworden ist. Das ist nicht in unserem Interesse, weil es die Rechtsverschiebung noch deutlicher macht. Der einzige Ausweg – man soll sich ja mit Ratschlägen immer zurückhalten – liegt doch auf der Hand: Die SPD kommt nur aus ihrer Krise – woran wir ein Interesse haben sollten – wenn sie wieder sozialdemokratisch wird. Das müssten sie angehen und deswegen wünsche ich Kevin Kühnert und all denen, die für eine erneuerte sozialdemokratische SPD stehen, viel Glück! Wir brauchen in diesen Zeiten auch eine wirklich sozialdemokratische Partei.

Das Hauptproblem beim Koalitionsvertrag, der ausgehandelt wurde, ist, dass sie keine Ideen, keinen Plan haben und die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Ihr merkt das, wenn ihr in den Städten seid, wenn ihr draußen in den Dörfern seid: Wir erleben gerade eine Zeitenwende. Aber sie machen einfach so weiter wie vorher. Hier ein bisschen, da ein bisschen. Klein, klein. Es gibt keine Linie. Wobei das im Moment die Zeit der großen Fragen ist. Zu Gesellschaftspolitik, Alltagspolitik – aber sie haben keinen Plan.

Wenn ich die Zahlen sehe: Wir haben 1,8 Mio. bis 2 Mio. Kinder, die in Armut leben und aufwachsen. Dann wäre das doch mal ein Plan, einen Vierjahres-Plan aufzulegen und in dieser Wahlperiode die Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Erde in die Geschichte zu versenken. Das wäre eine erste Aufgabe, liebe Genossinnen und Genossen

Wenn ich zweitens sehe: 2,7 Millionen Beschäftigte bekamen im Jahre 2016 weniger als den gesetzlichen Mindestlohn – den wir im Übrigen durchgesetzt haben – dann wäre das doch ein Plan, dafür zu sorgen, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit würdig leben können und dass man den Konzernen einen Riegel vorschiebt, den Mindestlohn zu umgehen. Das wäre ein Plan um den es sich zu kämpfen lohnt, liebe Genossinnen und Genossen.

Drittens. Wenn ich mir die Zahlen angucke: 40 % der Haushalte in den Großstädten der Bundesrepublik Deutschland geben 30 oder mehr Prozent von ihrem Einkommen für die Miete ab. Dann wäre es doch eine Aufgabe, sich endlich mit der Immobilienwirtschaft anzulegen und eine wirkliche Mietpreisbremse durchzusetzen. Nichts davon passiert, liebe Genossen und Genossinnen.

Vierter Punkt, der ein Plan sein könnte oder ein Teil eines Plans: Wir haben Rekordwaffenexporte – ich bin darauf eingegangen. Alle 14 Minuten stirbt ein Mensch durch eine deutsche Waffe. Alle 14 Minuten stirbt ein Mensch durch eine deutsche Waffe auf der Welt. Da wäre es doch ein Plan, nicht erst in vier Jahren, am Ende der Legislaturperiode, sondern jetzt, am Beginn der Legislaturperiode, das Geschäft mit dem Tod zu beenden und Waffenexporte ein für alle Mal zu verbieten! Das wäre ein Plan!

Und ich sage das auch: Ja, auch wir in der Linksfraktion im Bundestag, wir werben für eine Verständigung mit Russland. Und zwar nicht, weil wir Putin cool finden oder so, sondern weil wir im 75. Jahr der Schlacht von Stalingrad sind. Wir werben für eine Verständigung mit Russland aus einer historischen Verantwortung. Wegen dem, was der deutsche Faschismus an den Menschen in der Sowjetunion angerichtet hat. Und deswegen ist gerade Deutschland dazu verpflichtet, für eine Verständigung und die Beendigung der Eiszeit mit Russland zu werben. Kritisch aber solidarisch. Das ist eine Herausforderung und unsere Verpflichtung, weil wir aus einer antifaschistischen Tradition kommen, liebe Genossinnen und Genossen.

Ich habe eben von der Zeitenwende gesprochen. Was heißt das? Ich glaube, dass der Neoliberalismus in seiner Form der letzten 20 Jahre an sein Ende gekommen ist und dass eine neue Zeit beginnt. Ihr spürt das. Ihr lest das. Ihr seht die politischen Verschiebungen in Europa, in den USA und vielen anderen Ländern. Und ein Ende des Neoliberalismus, das wäre ja an sich nicht schlecht – aber es gibt eine problematische Frage: Was kommt danach? Und deswegen haben wir nicht irgendeine Aufgabe, einen Parteitag zu bestehen oder einen tollen Bundesparteitag oder so zu machen, sondern die Aufgabe die wir als Linke haben - und damit meine ich nicht uns als Partei, sondern insgesamt als gesellschaftliche Linke -, die ist so groß die Verantwortung, wie sie in den letzten 50 Jahren noch nicht gewesen ist. Und dem müssen wir uns stellen und deswegen müssen wir besser werden. Und ich will sagen: Wenn wir eine Strategie entwickeln wollen, wie wir stärker werden als Partei und wie wir diese unerträgliche Rechtsverschiebung stoppen können, dann ist es die erste Aufgabe als LINKE die Situation zu analysieren. Denn nur, wenn wir ordentlich analysieren, können wir doch Mittel finden, um gegen diese Verhältnisse anzukämpfen. Und ich will das an drei Beispielen machen. Also, mein Patenonkel lebt in den Vereinigten Staaten schon seit 40 Jahren. Und ich habe am Wahlabend/Wahlmorgen der Trump-Wahl  mit ihm gechattet. Und er sagte mir schon bevor die ersten Bundesstaaten aufgezählt worden sind, seiner Einschätzung nach gewinnt Trump. Ich habe das nicht für möglich gehalten. Keiner von uns in diesem Raum hat das für möglich gehalten. Vielleicht einer, aber sonst keiner. Und er ist es geworden. Warum ist er es geworden?

Das hat natürlich etwas mit dem Neoliberalismus zu tun. Das hat was mit dem Zerschlagen von sozialen Verbindungen zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass die Industriearbeiter gar nicht mehr vorkamen. Ja, und es hatte auch etwas mit dem Versagen der Liberalen und der Linken in den USA zu tun, die nämlich fälschlicherweise davon ausgegangen sind, dass die Vereinigten Staaten nur aus Washington und Kalifornien bestehen, aber nicht mitbekommen haben, dass es weite Gegenden gibt, die gar nicht mehr vorkamen in Washington. Und das hat Trump erkannt. Und deswegen müssen wir auch gucken, was haben die Linken, die Liberalen eigentlich falsch gemacht in den letzten Jahren. Anders geht es nicht. Und auch wir müssen uns selbstkritisch fragen, wo wir etwas nicht gesehen haben, wo wir Schicksale nicht mehr thematisiert haben. Das ist von entscheidender Bedeutung, sage ich euch.

Gucken wir nach Frankreich, als zweites Beispiel. Den Niedergang der ehemals großen Parti socialiste von Francois Mitterrand. Hätte jemand vor fünf Jahren in diesem Saal gesagt, dass es sie nicht mehr gibt, der wäre ausgelacht worden. Aber es gibt sie de facto nicht mehr. Und da kann man es ja ganz gut erklären. Warum gibt es sie nicht mehr? Naja, um das mal ganz klassisch im altlinken Sprech zu sagen: Na, weil die Parti socialiste, die dortigen Sozialdemokraten, Verrat an der Arbeiterklasse begangen haben. Weil es unter ihrer Regierung schlechter wurde, und zwar massiv schlechter. Warum sollen sie dann noch die Parti socialiste wählen?

Aber jetzt kommt das, was für uns genauso wichtig und interessant ist. Die ehemals großartige und riesige kommunistische Partei Frankreich liegt genauso darnieder. Das ist doch ein Problem. Und es gibt viele Bücher und vieles andere und zum Glück wird wieder darüber gesprochen. Wie kann es denn sein, dass früher die Leute, die Arbeiter, entweder die Parti socialiste, aber natürlich auch die kommunistische Partei, die Linkspartei gewählt haben und jetzt wählen sie den Front National. Da kann man doch nicht einfach sagen: „Das ist uns scheißegal“. Wir müssen darum kämpfen, sie zurückzugewinnen. Was denn sonst? Anders geht es nicht.

Wenn wir in Deutschland darüber sprechen müssen, wie geht es hier eigentlich weiter? Dann werden wir doch nicht drum herumkommen – und das ist natürlich auch schmerzlich und anstrengend – zu gucken, wo kommt eigentlich die Wut her? Wo kommt eigentlich der Hass her? Wo kommt das Unwohlsein her? Wir müssen doch darüber nachdenken wo er herkommt. Das ist doch das mindeste was gerade wir als LINKE machen müssen. Ich will dazu zwei Erklärungsansätze geben, die nichts entschuldigen, aber die erklären. Und nur, wenn wir versuchen es zu verstehen können wir es ändern. Also einmal eine exzellente Untersuchung von Oliver Nachtwey – den kennen viele: „Die Abstiegsgesellschaft“. Er hat ein gutes Bild gemalt, womit man verstehen kann, warum insbesondere der Mittelstand in Aufruhr ist, warum er sich politisch so entwickelt. Es hat das so genannt, in der alten Bundesrepublik gab es die „Fahrstuhlgesellschaft“. Was heißt das? Es ging tendenziell für alle nach oben. Nicht groß und auch nicht in großen Sprüngen, aber tendenziell. Das ist das alte Bild. Meinem Kind soll es mal besser gehen, um das mal zu übersetzen. Die Einkommensunterschiede und die ungerechte Vermögensverteilung, die wurde damals nicht aufgehoben. Aber es ging tendenziell für die große Mehrheit, nicht für alle, aber für die große Mehrheit, Stück für Stück ein kleines bisschen nach oben. Und Oliver Nachtwey hat noch ein sehr gutes Bild gezeichnet, was sich grundlegend verändert hat, spätestens mit der Agenda 2010. Nämlich jetzt sind wir in einer Rolltreppengesellschaft. Was heißt das? Die Rolltreppe geht so nach unten. Sie geht nicht ganz steil nach unten, sie geht aber so nach unten, halbschräg. Und wenn Du in der Mitte bleiben willst, dann musst Du strampeln. Du musst ständig strampeln, und Du musst die Ellenbogen ausfahren. Deswegen ist es ein gutes Bild um zu verstehen, was hier eigentlich ins Rutschen gekommen ist. Das ist eine entscheidende Frage. Und deswegen ist es kein Fetisch oder irgendwas, wenn wir die Agenda 2010 kritisieren, sondern die Korrektur und die Rückabwicklung der Agenda 2010 ist von entscheidender Bedeutung um die Rechtsentwicklung aufzuhalten, liebe Genossinnen und Genossen. Das muss klar sein.

Reden wir vom Neoliberalismus. Das hören die Leute und denken: Ja, der Korte und die LINKE; was schwafeln die denn da eigentlich? Wir müssen das ja mal übersetzen. Was ist Neoliberalismus? Neoliberalismus ist die Ideologie: Jeder ist seines Glückes Schmied. Und Neoliberalismus in seiner perversen Form, wie er ganze Gesellschaften dominiert und zerstört, bedeutet, übersetzt gesagt: „Wenn Du in Not bist, egal aus welchem Grund, hilft Dir keiner mehr. Du hilfst Dir selber, oder Du bleibst auf der Strecke.“ Das ist Neoliberalismus und das ist der Kern dessen, was Solidarität, was Gemeinschaft und Mitmenschlichkeit zerstört. Und wenn man das nicht sieht, dann kann man die Entwicklung nicht verstehen, um es einmal ganz klar zusammengefasst zu sagen. Der Neoliberalismus ist die Schwester bzw. der Bruder des Faschismus! Und wer das nicht erkennt, der kann ihn nicht aufhalten, liebe Genossinnen und Genossen!

Der Neoliberalismus hat doch Folgendes erreicht – und deswegen hatte er doch auch so ein Glücksversprechen, das viele Leute eine ganze Zeit geglaubt haben. Er hat sich gepaart mit Errungenschaften, die wir als LINKE, die die sozialen Bewegungen durchgesetzt haben: Offenes Reisen, Weltläufigkeit, der Kampf für Rechte von Minderheiten. Damit hat sich geschickt der Neoliberalismus gepaart. Und in den USA kann man das wunderbar personifiziert in einer Person erkennen, in Hillary Clinton. In Hillary Clinton! Es sind die großen Konzerne und die Wallstreet, die sich getarnt haben mit Weltläufigkeit. Und jetzt kommen wir zu dem wirklich schwierigen analytischen Teil auch für uns, der die große Herausforderung ist: Wenn bestimmte Leute, die nicht wissen, wie sie durch den Monat kommen, die nicht wissen, ob sie am Monatsende die Stromrechnung bezahlen können, die nicht wissen, wie sie die Klassenfahrt ihres Kindes finanzieren. Wenn die von Minderheitenrechte hören, dann verbinden die das mit Neoliberalismus. Und das dürfen wir nicht zulassen. Eine LINKE, die stark ist, lässt niemals diese Differenz zu. Ich wünsche mir eine LINKE – und nur dann sind wir stark – die für die Rechte von Flüchtlingen, von LGBT und anderen Minderheiten kämpft, aber genauso für den Familienvater mit den drei Jobs, der nicht weiß, wie er durch den Monat kommt und der versucht, es in Würde zu machen. Beides geht nur gemeinsam! Nicht nur das eine oder das andere. Nur wenn wir beides tun, sind wir eine starke LINKE. Lassen wir uns niemals an dieser Frage auseinanderdividieren, das ist von entscheidender Bedeutung!

Vielleicht sagt jetzt ein Teil: Okay, Korte, ja, deine Ideen sind gar nicht schlecht, aber die berühmte Frage: Was tun? Deswegen, um in die Schlussschleife einzubiegen, ein paar Schlussfolgerungen, wie es vielleicht gehen könnte. Das erste ist – und das ist ein großer Vorteil, wenn man Sozialist ist – wir sind gerade im 200. Geburtsjahr des Genossen Karl Marx. Und wie wir wissen, hat Karl Marx gesagt – das ist von entscheidender Bedeutung für die heutige Gesellschaft:

„Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein“ – ihr kennt es – „sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“

Zitat Ende.

Das ist das Wesentliche um zu verstehen, was passiert und warum wir die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur ein bisschen sondern grundlegend und radikal ändern wollen. Es sind die Verhältnisse. Und deswegen ist die erste Sache: Mindestens an diesem Geburtstagsjahr: Etwas mehr Karl Marx lesen. Es kann nicht schaden. Und das sage ich auch den anderen politischen Kräften.

Was heißt das für uns als LINKE? Erstens: Wir brauchen eine Selbstvergewisserung für wen wir eigentlich da sind und für wen wir eigentlich gegründet wurden. Für die, die hart arbeiten, für die Arbeitslosen, und für die, die jeden Tag durch das System, durch diese Zumutungen, durch den Druck, durch die Bosse malträtiert werden. Für diese Menschen ist die LINKE gegründet worden und das müssen wir in unserem Herzen tragen. Wir dürfen dort nicht nachlassen. Für diese sind wir gegründet worden. Vergessen wir das niemals! Niemals vergessen!

Und das bedeutet, dass wir uns auch hin und wieder mal an unsere Traditionen erinnern. Das ist nicht irgendwas verstaubtes, wie es uns manche einreden wollen. Wir stehen in vielerlei Tradition. Aber vor allem und in besonderer Weise sind wir eine Partei in der Tradition nicht nur der deutschen sondern der internationalen Arbeiterbewegung. Vergessen wir das nicht, liebe Genossinnen und Genossen.

Was heißt das? Das heißt, dass auch in Rheinland-Pfalz, im Westerwald oder wo auch immer – wir die sind Partei, die sich um die kleinen Träume der Menschen kümmert. Wenn ihr mit den Leuten redet – die haben nicht die großen Glückserwartungen, die haben nicht die großen Erwartungen, dass sie jetzt eine große Villa bekommen und alles super ist – aber sie haben kleine Träume: Dass sie vielleicht einen Kredit aufnehmen können und sich ein Haus bauen. Dass die Kinder dableiben und nicht weggehen. Oder, wenn sie weggehen zum Studieren oder zum Arbeiten, vielleicht irgendwann wiederkommen. Diesen Träumen müssen wir uns annehmen und wir müssen sie fühlen. Fühlen, was die Träume sind, damit wir nicht an ihnen vorbeireden. Das ist von entscheidender Bedeutung, für die kleinen Träume der Menschen zu kämpfen.

Wir haben in der Partei etwas Großartiges hinbekommen in den letzten Jahren. Wir haben viele – und wenn ich mich hier so umgucke – neue junge Mitglieder. Gerade in den Großstädten. Viele Studentinnen und Studenten sind zu uns gekommen. Das sind Leute, die wären früher zu den GRÜNEN gegangen. Und um es klar zu sagen: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir so viele junge Leute gewonnen haben, da können wir stolz drauf sein, liebe Genossinnen und Genossen.

Gleichzeitig, und das macht doch unser Problem in der Strategie aus: Gleichzeitig – und darüber müssen wir sprechen und wir müssen es wegholen von irgendwelchen bekloppten Personaldebatten an der Spitze – müssen wir es auf die Strategie runterbrechen. Nämlich, dass wir dort enorm dazugewonnen haben. Guckt euch die Ergebnisse in euren Universitätsstädten an. Das ist doch wunderbar, was wir dort erreicht haben. Aber gleichzeitig haben wir – und das ist ein Problem für eine Partei, die aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommt – bei Arbeitern und Arbeitslosen verheerend verloren. Damit können wir uns doch nicht abfinden. Und ich wünsche mir von der Partei, dass sie das organisiert: Endlich eine Debatte zu führen, die das eine tut ohne das andere zu lassen. Wir brauchen beide und wir wollen beide, liebe Genossinnen und Genossen. Anders geht es nicht.

Deswegen, drittens, ist die Sprache von entscheidender Bedeutung. Das gilt insbesondere für uns in Berlin, die im Bundestag sitzen, die das jeden Tag machen, hauptberuflich Politik machen, aus tiefer Überzeugung. Aber natürlich wirkt es sich auch aus, in einer Blase zu sitzen. Und deswegen ist es wichtig, für unsere Erneuerung, dass wir stärker werden, dass wir uns der Vernebelungsstrategie in der Sprache widersetzen und wieder klar sprechen. Ich will das mal an ein paar Beispielen deutlich machen: Wir müssen aufpassen, dass nicht auch wir damit anfangen, von Leiharbeit zu quatschen. Richtig ist es moderne Sklaverei, die wir überwinden müssen. Das verstehen die Leute, die in Leiharbeit sind.

Wenn wir von sachgrundloser Befristung reden – was sagen die Leute da? Wovon redet ihr denn bitteschön? Wir müssen es übersetzen. Wir müssen ihnen sagen: Es geht darum, dass ihr, wenn ihr einen Job bekommt in einer Dauerprobezeit geparkt werdet, und das ist nicht gut! Das wollen wir nicht, weil es euch die Planung für euer Leben raubt. So müssen wir reden, liebe Genossinnen und Genossen.

Was heißt Zwei-Klassen-Medizin? Was soll sich darunter jemand vorstellen? Wir müssen es übersetzen. Und zwar so, wie die Menschen es erleben. Nämlich, dass wenn sie stundenlang im Wartezimmer sitzen und der Privatpatient kommt, dass er vor ihm drankommt, obwohl er viel später gekommen ist. Das ist Zwei-Klassen-Medizin und die müssen wir überwinden, liebe Genossinnen und Genossen. So verstehen uns die Leute.

Wenn wir in Statistiken – ich habe das eben gemacht, denn ganz ohne geht es natürlich nicht – von Kinderarmut sprechen, dann müssen wir vielleicht mal übersetzen, was das bedeutet. Was bedeutet eigentlich Kinderarmut für ein Kind, was für die Eltern? Wenn sie nicht wissen, ob es an der Klassenfahrt teilnehmen kann, weil sie schlicht das Geld dafür nicht haben. Was bedeutet das – ihr kennt das aus eigener Erfahrung – wenn die kleinen Kinder eingeschult werden? Und in einer bestimmten Zeit ist ein bestimmter Ranzen gerade angesagt, den alle haben müssen. Also, in meiner Zeit war das ein Scout. Aber das ist wohl voll out, wie mir meine Quelle verriet. Aber ihr wisst, worauf ich hinaus will. Das ist dann der Ranzen, der gerade angesagt ist. Und was macht das mit einem Kind, wenn es in einer Klasse ist, wo alle diesen angesagten Ranzen haben, aber die Eltern nicht das Geld haben, diesen Ranzen zu bezahlen. Damit können wir uns nicht abfinden. Ranzen für alle – das muss unsere Kampfaufgabe sein.

Was, liebe Genossinnen und Genossen – und ich bin auch nicht frei davon – was bedeutet bitteschön Aufhebung des Kooperationsverbotes? Wenn wir so reden, gehen die Leute nach Hause. Wir müssen es übersetzen: Wir wollen ein einheitliches Bildungssystem nach skandinavischem Vorbild und zwar von Rügen bis Bayern, und zwar top finanziert für alle Kinder. Die Gemeinschaftsschule. Das wollen wir!

Und ich sage auch: Wenn wir diese Probleme angehen und besser werden und wieder die Herzen der Menschen erreichen. Nicht nur den Kopf, wir brauchen auch die Herzen der Menschen. Und dafür ist es auch entscheidend, dass wir als LINKE – und damit meine ich auch die Linke (klein und großgeschrieben) – niemals, niemals darf es Linken passieren, dass sie auf andere herabblicken, weil sie die falsche Kleidung tragen, weil sie über die falschen Witze lachen, weil sie vielleicht den einen oder anderen Spruch machen, der in unserer Welt nicht vorkommt und nicht akzeptiert ist. Das darf uns niemals passieren, denn wir sind die Partei der Gleichheit aller Menschen.

Niemals auf andere herabblicken. Ich habe ein paar Beispiele genannt, was wir anders machen können und wo wir besser werden könnten. Und es geht doch! Guckt nach Großbritannien. Wenn ihr euch dort die großartige Arbeit von Jeremy Corbyn anguckt, dann ist sie warum interessant? Er hat Folgendes großartiges geschafft, was ich versucht habe, theoretisch-praktisch herzuleiten. Er hat in den Regionen, in Sheffield in Birmingham – übrigens der Wiege der europäischen Arbeiterklasse, die haben mit überwiegender Mehrheit für den Brexit gestimmt, da waren Hochburgen der Rechten von UKIP – Jeremy Corbyn hat es in gut einem Jahr geschafft, diese Wahlkreise in Sheffield in Birmingham für Labour zurückzugewinnen, mit einem klaren links-sozialistischen Kurs, wo völlig klar war, wofür er steht. Nämlich für Umverteilung, gegen Privatisierung und das Sichtbarmachen von Schicksalen von Menschen, die früher dort gearbeitet haben und heute keine Arbeit mehr haben. Und er hat gleichzeitig – und das ist doch das Wunder und zeigt, dass es geht, warum nicht auch hier? – er hat gleichzeitig so viele junge Menschen für Labour gewonnen, dass die Großstädte Corbyn unterstützen, und dass es auf dem großartigen Glastonbury-Festival nicht nur gute Musik gibt, sondern jetzt auch linke Reden gehalten werden. Das hat er geschafft. Das ist uns doch Ansporn, liebe Genossinnen und Genossen.

Und ich sage euch auch: Ich habe das am Anfang meiner Rede zu dem Bundestagswahlergebnis gemacht: Wenn wir Geschlossenheit zeigen, bei allem notwendigen Streit, den wir miteinander führen müssen: Man kann Streit auch so führen, dass andere Leute sagen: „Das ist aber interessant, worüber die streiten, denn auch das ist etwas, wo ich nicht genau Bescheid weiß. Das ist spannend. Es ist spannend, was die diskutieren. Die diskutieren auch Fragen, die mich bewegen.“ Trotzdem ist es wichtig, dass gerade wir an der Spitze von Fraktion und Partei ein Maß an Geschlossenheit und Professionalität aufbringen, dass es euch an der Basis nicht Knüppel zwischen die Beine wirft, sondern dass es euch stark macht und ihr mit Freude in die Auseinandersetzung geht, weil in Berlin ein guter Job von der Spitze gemacht wird. Das will ich auch selbstkritisch zu der Führung sagen, liebe Genossinnen und Genossen.

Und fallen wir nicht auf eines rein – das gilt für alle, von der Basisorganisation bis in den Parteivorstand und die Bundestagsfraktion. Die miesen Angriffe, die es natürlich von relevanten Teilen in dieser Gesellschaft auf die LINKE gibt: Was glaubt ihr denn, bitteschön? Wem erzähle ich das denn? Es gibt relevante Teile, die finden uns nicht besonders toll und die werden alles tun, damit wir nicht stärker werden. Aber entscheidend ist es doch, dass wir diese miesen Angriffe, die es auf uns gibt, nicht auch noch selbst befördern und thematisieren in der eigenen Partei, liebe Genossinnen und Genossen. Ich will das an einem Beispiel machen: Es wird erzählt, wir hätten irgendwelche Nationalisten oder so in unserer Partei. Was für ein Unsinn. Wir alle singen am Ende von Parteitagen – ich weiß nicht, ob ihr es hier tut, aber wenn nicht, solltet ihr damit anfangen – singen wir die Internationale.

Und um diese Vorwurf mal zu entkräften: In der Internationale, wo wir alle textsicher sind und wo wir alle, über alle Strömungen hinweg mit voller Inbrunst mitsingen, dort heißt es nicht: „Die Nation“ oder „Ein Land“, sondern „Die Internationale“ erkämpft das Menschenrecht. Damit ist diese Debatte doch durch, liebe Genossinnen und Genossen.

Und, ja in der Tat haben wir zu vielen Fragen auch unterschiedliche Auffassungen, auch in der Flüchtlingspolitik. Aber eins, das will ich euch mitgeben, was ihr immer wieder erzählen und sagen müsst, wenn die Angriffe auf uns kommen: Wir sind die einzige Bundestagsfraktion, die einzige, die nicht einer einzigen Verschärfung und Beschädigung des Asylrechtes zugestimmt hat. Nicht einer einzigen! Und darauf können wir stolz sein und dabei wird es bleiben, liebe Genossinnen und Genossen.

Zum Schluss: Konzentrieren wir uns auf das was uns stark gemacht hat. Konzentrieren wir uns auf wenige entscheidende Punkte, die wir von morgens bis abends thematisieren müssen. Ihr seid in Rheinland-Pfalz. Wenn wir über Außenpolitik reden, dann können wir uns hier wunderbar abstrakt streiten, wie wir jetzt die NATO finden. Die finden nun alle blöd bei uns. Aber ich sage euch: In meinem Wahlkreis habe ich noch keinen getroffen, der morgens zur Schicht fährt und als erstes im Kopf hat: Wie komme ich nur aus der NATO raus? Ich habe ihn noch nicht getroffen. Das heißt doch nicht, dass irgendjemand die NATO gut findet. Aber das heißt doch, dass wir so agieren müssen, dass wir Menschen auch mit außenpolitischen Fragen erreichen. Und hier in Rheinland-Pfalz ist es doch klar, worum es geht: Nämlich endlich die US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Das verstehen die Leute, und das ist erreichbar, liebe Genossinnen und Genossen.

Und sie verstehen nicht irgendwelche abstrakten Debatten. Was sie aber verstehen, ist, dass die LINKE die entschiedenste Kraft ist, die das NATO-2-Prozent-Aufrüstungsziel in Deutschland bekämpfen wird, bis zum Letzten. Und zwar aus dem Grund, weil wir das Geld für Schulen, Kitas und die Pflege brauchen. Aus diesem Grund sind wir dagegen, das verstehen die Leute.

Wir haben Marx-zweihundert, wir haben aber auch noch einen wichtigen Jahrestag, nämlich 50 Jahre 68. Und diese Errungenschaften von 1968 stehen unter Beschuss nicht nur der Rechten, sondern auch der Konservativen. Und ich finde auch, in diesem Jahr, im Jahre 2018, wir als LINKE verteidigen die Kämpfe und die Errungenschaften, die 68 erreicht worden sind. Was war denn bitte schlecht daran, liebe Genossinnen und Genossen? War es schlecht, gegen den Vietnamkrieg zu kämpfen? War es schlecht die Gleichberechtigung der Frau auf die Tagesordnung zu setzen? War es schlecht, internationale Solidarität zu üben? Nein! Und ich sage der 68er-Generation, zu denen gehören meine Eltern und ein paar ja auch hier im Saal, wenn ich Sie so sehe. Da kann man doch mal schön Danke sagen, denn ihr habt mehr für die Freiheit in Deutschland erkämpft, als alle CDU-Regierungen zusammen. So selbstgewusst müssen wir in diesen Jahrestag gehen.

Ich fasse zusammen: Klare Sprache die benennt, was die gesellschaftliche Situation ist und die nie vergisst, dass die LINKE eine Zukunftspartei ist. Ohne einen Entwurf für die Zukunft geht es nicht. Und niemals werden wir zulassen – und das ist der entscheidende Unterschied zu den anderen – niemals lassen wir zu, dass die Schwachen gegen die Allerschwächsten ausgespielt werden. Dem setzen wir die Solidarität entgegen, liebe Genossinnen und Genossen.

Und, das kann man schön erzählen. Glaubwürdig wird man nur in dem Moment, wenn man auch bereit ist, sich mit den Mächtigen, mit den Konzernen und den Banken und mit denen, die das Sagen haben in diesem Land, anzulegen. Und nicht nur ein bisschen, sondern sich mit ihnen richtig anzulegen. Und das tut nur die LINKE und das müssen wir verstärkt tun. Das Problem ist oben und unten und nicht In- und Ausländer oder was weiß ich was für ein Unsinn, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir müssen angesichts des Vormarsches der Rechten stärker werden. Es gibt eine neue historische Lage, in der wir seit 1989 nicht mehr gewesen sind. Und wir müssen das annehmen und besser werden: Weniger Geschäftsordnungsdebatten, vielleicht auch im Bundestag weniger Anträge, dafür mehr Aktion da draußen. Vielleicht müssen wir weniger abstrakte Debatten führen und viel attraktiver als Partei werden, um Leute einzuladen, mitzumachen. Denn eins will ich auch noch einmal als Bundestagsabgeordneter sagen; das gilt für die drei hier aus Rheinland-Pfalz und für alle anderen: Wir wollen mal eins nicht vergessen. Wir alle sitzen dort im Parlament, weil es diese Partei gibt und weil sie uns dorthin geschickt hat und weil die Basis die Plakate aufgehangen hat und in schwierigen Zeiten zu unserer Partei gestanden hat. Das sollten einige hin und wieder vielleicht mal auf dem Zettel haben, dafür muss man der Partei danken!

Gucken wir, wie wir um unsere Partei herum vielleicht Foren für Debatten schaffen können, wo Leute, die nicht gleich in unsere schöne Partei eintreten wollen, die sich aber für unsere Debatten interessieren, sich drum herum sammeln können und diskutieren können, uns Hinweise geben können. Versuchen wir solche neuen Methoden auszuprobieren. Und wir müssen nicht mehr nur – wie in den letzten Jahren, wo es nun mal nicht anders ging,  Abwehrkämpfe führen, sondern wir müssen wieder in die Offensive kommen. Und auch das müssen wir übersetzen, das bringt zwar immer Applaus, wenn man sagt, „wir müssen in die Offensive kommen“. Es sagt ja kein normaler Politiker: „Wir müssen in die Defensive kommen.“ Das ist ja banal. Aber was bedeutet das? Das bedeutet, dass jetzt die Zeit gekommen ist, wo staatlich investiert werden muss. Wo wir als LINKE dafür streiten, dass in den Kommunen, auch im ländlichen Raum, die Freibäder nicht mehr geschlossen, sondern neue eröffnet werden. Das ist etwas Konkretes, was mit Zukunft zu tun hat. Was die Menschen merken. Gerade diejenigen, die sich keinen Urlaub leisten können. Solche Projekte brauchen wir. Wir müssen für ein Verbot der Privatisierung kämpfen: Im Grundgesetz, in den Landesverfassungen und in den Kommunen. Auf jeder Ebene. Holen wir uns das Privatisierte zurück, denn es gehört den Menschen, die es hart erarbeitet und bezahlt haben, liebe Genossinnen und Genossen!

Und, an die vielen jungen Leute. An die, die gegen Rechts jeden Tag im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hinhalten: Ihnen gehört unserer Dank, denn ohne diese Menschen sähe es noch viel schlimmer aus, liebe Genossinnen und Genossen. Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet.

Kämpfen wir also um jede kleine Verbesserung, die das Leben der Menschen verbessert. Das muss unser Kampf sein. Entscheidend dabei ist aber auch, dass Große und Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, sonst wird man zu einem Technokraten. Der Kampf für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen – wir nennen es demokratischer Sozialismus – geht jetzt in eine entscheidende Phase und dafür müssen wir gut aufgestellt sein, liebe Genossinnen und Genossen. In diesen Zeiten bedeutet das: Wir müssen zusammenrücken, wir müssen uns unserer Traditionen bewusst werden und uns als Partei gleichzeitig erneuern. Nur beides zusammen wird erfolgreich sein. Das bedeutet, bei allen Unterschieden in der Partei, die wir haben: Reichen wir uns die Hand und begeben wir uns ins Getümmel dieser Gesellschaft, in diesen so spannenden und wichtigen Zeiten. Wir haben einen Job zu machen. Und mit den Grüßen aus meinem Wahlkreis – der liegt bekanntermaßen in Bitterfeld – bedanke ich mich, dass ich endlich mal so lange sprechen durfte. Ich hatte euch so viel zu sagen!

Glück auf für unsere Partei. Alles Gute

Es gilt das gesprochene Wort

Schlagwörter