Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Je härter der Grundrechtseingriff, desto wichtiger ist Parlamentsbeteiligung

29.10.2020
Jan Korte, DIE LINKE: Je härter der Grundrechtseingriff, desto wichtiger ist Parlamentsbeteiligung

Rede zu ZP 4: Parlamentsbeteiligung Infektionsschutzmaßnahmen am 29.10.2020

Jan Korte (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil es hier mehrfach erwähnt worden ist, möchte ich auch noch auf den 25. März zurückblicken, zur Debatte zum Bevölkerungsschutzgesetz. Damals hat meine Fraktion Die Linke einen außerordentlich schlauen Antrag gestellt,

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das erste Mal! - Tino Sorge (CDU/CSU): Das wäre das erste Mal!)

der leider abgelehnt wurde, nämlich das Ganze bis zum 30. September 2020 zu befristen;

(Beifall bei der LINKEN)

denn, so der Begründungstext:

So wäre sichergestellt, dass nach der laufenden Epidemie zusammen mit den Ländern auf Basis des bis 30. September 2020 von der Bundesregierung vorzulegenden Berichts ein stimmiges Gesamtpaket mit klareren Zuständigkeiten und breiter Akzeptanz und auf dem Stand des dann aktuellen Wissens auf den Weg gebracht wird. [Antrag 19/1865]

Hätten Sie das befolgt, hätten wir diese Chose heute nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun möchte ich etwas zum vorliegenden Antrag der FDP sagen, der überraschend gut ist; das ist ja nicht selbstverständlich bei Ihnen.

(Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Wir können das Kompliment zurückgeben!)

Meine Fraktion wird ihn deswegen unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn dass wir eine gewisse Verselbstständigung der Exekutive und der Bundesregierung haben, ist ja allen - bis auf der CDU/CSU -, auch der SPD-Fraktion, aufgefallen. Deswegen müssen wir handeln.

Sinnbildlich dafür steht gestern die Runde der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Denn eines ist heute schon ein bisschen bizarr: Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und die Debatte nach den Entscheidungen zu führen, ist geradezu absurd.

(Dr. Alexander Gauland (AfD): Richtig!)

Das muss vorher geschehen, damit wir uns ein Bild machen können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Absurd!

(Beifall bei der LINKEN, der AfD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch ganz grundsätzlich etwas dazu sagen. Zum Ersten: Das ist eine Runde, deren Beschlüsse wirklich sehr schwer in die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Diese Grund- und Freiheitsrechte sind übrigens nicht vom Himmel gefallen oder wurden so zur Verfügung gestellt, sondern sie wurden aus der Geschichte heraus bitter erkämpft. Deswegen ist das eine besonders sensible Frage.

Zum Zweiten: Diese Runde tagt nichtöffentlich. Die Parlamente, die, wie wir hier sehen, öffentlich tagen, werden nicht einbezogen. Auch deswegen geht das überhaupt nicht.

Zum Dritten: Dieses Gremium, das de facto eine Ersatzregierung ist - auch in der ganzen Attitüde; das ist teilweise schon etwas schräg -, ist nirgendwo in der Verfassung vorgesehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der Abg. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich finde, so muss man damit auch umgehen.

Das geht nicht in einem demokratischen Rechtsstaat. Es geht auch nicht, dass Sie als Parlamentarier, vor allem der CDU/CSU, akzeptieren, dass das ganze Land vor dem Fernseher wartet, dass die Pressekonferenz losgeht und dann die Entscheidungen verkündet werden. Die ganze Attitüde passt auch nicht zu dem, was wir brauchen, nämlich Transparenz und Akzeptanz, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ganz grundsätzlich ist es doch gerade in diesen Grund- und Freiheitsfragen so, dass sich der Staat rechtfertigen muss, wenn er in die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen eingreift.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr richtig!)

Das mache ich, indem ich Transparenz herstelle, indem ich Öffentlichkeit suche und herstelle und indem ich logisch begründe. Das Fazit von all diesen Debatten kann gerade in dieser Frage doch nur Folgendes sein: Je länger und tiefer die Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte jedes Einzelnen in diesem Land vorgenommen werden, umso mehr Kontrolle, umso mehr Debatte und umso mehr Sondersitzungen des Bundestages brauchen wir, wenn es denn nötig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich finde, das ist recht übersichtlich.

Ich will noch etwas an die Bundeskanzlerin richten. Ich weiß, Sie machen auch noch vieles andere, und ich bin, um etwas Positives zu sagen, froh, dass gerade nicht Friedrich Merz oder Armin Laschet Kanzler ist,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

sondern Sie; das muss man der Fairness halber auch sagen. Aber trotzdem geht eines nicht: Man kann mit der Bevölkerung nicht so umgehen, dass man in diesen Fragen nur in der Ministerpräsidentenrunde regiert oder abwechselnd einmal wieder einen Podcast macht.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo er recht hat, hat er recht!)

Das geht wirklich nicht. Das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen finde ich das, was die Kolleginnen und Kollegen der FDP hier vorlegen, eine saubere juristische Einordnung, wie wir dieses Problem angehen können.

Ich finde, wir können sogar noch ein Stück weitergehen. Der geschätzte Bundestagspräsident Dr. Schäuble hat an uns alle appelliert - er hat uns einen Brief geschrieben; der ist auch veröffentlicht worden -, dass das mit der Missachtung des Parlamentes - das ist eine - so natürlich nicht weitergehen kann.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Davon hat er nicht gesprochen!)

Das ist auch ein Appell des Präsidenten vor allem an die Koalitionsabgeordneten. Der Kollege Dr. Schäuble gehört ja, Kollege Michael Grosse-Brömer, Ihrer Fraktion an, wenn ich das richtig sehe.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Der muss gut sein!)

Das hat doch auch etwas mit dem Selbstverständnis zu tun. Sie sind doch hier keine Steffen-Seibert-Doubles,

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Nein! Aber auch keine Ersatzkanzler! Das sind doch alles keine Ersatzkanzler!)

die hier alles richtig und toll reden wollen, was die Regierung macht. Das ist nicht die Aufgabe von Parlamentariern. Das, finde ich, ich muss einfach einmal gesagt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen. Was sollten wir tun? In Zukunft sollte die Bundeskanzlerin vor jeder weiteren Runde - die nächste ist schon angekündigt worden - hier eine Regierungserklärung darüber abgeben, was ihre Verhandlungslinie bei den Ministerpräsidenten sein soll. Dies muss die erste Maßnahme sein. Das entspricht auch der Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, wir müssen in diesen Zeiten eigentlich in jeder Woche hierzu eine Generaldebatte führen. Wie ist eigentlich die Entwicklung bei den Infektionszahlen?

(Tino Sorge (CDU/CSU): Täglich!)

Eine zentrale Frage finde ich auch ganz wichtig. Wir alle müssen doch darüber nachdenken: Was gibt es eigentlich für unerwünschte Nebenwirkungen auf die gesamte Gesellschaft, die hier vielleicht gar nicht bedacht und beachtet wurden? Das muss man hier doch einmal diskutieren.

Ich will mit einem konkreten Beispiel schließen. Wenn ich Dinge höre wie die Digitalisierung des Homeschooling, dann stelle ich fest, dass das in weiten Teilen Geschwätz ist. Das müssen Sie einmal jemandem erzählen, der mit fünf Personen in einer Zweizimmerwohnung [korrigiert] leben muss. Wir müssen darüber nachdenken, was Leuten eigentlich zugemutet wird und ob sie überhaupt in der Lage sind, diese Aufgaben richtig anzugehen. Das ist, finde ich, die Aufgabe des Bundestages.

(Beatrix von Storch (AfD): Sie haben den Bezug zur Realität verloren!)

Kollegin von Storch, weil Sie eben peinlicherweise zweimal geklatscht haben, will ich Ihnen noch sagen: Sie stellen sich in die Tradition - das haben Sie letzte Sitzungswoche bei jeder Rede gemacht - von Donald Trump.

(Beatrix von Storch (AfD): Hoffentlich gewinnt er die Wahl!)

Ich finde, wer sich in diese Tradition stellt und sich die Todeszahlen von Covid-19 in den USA ansieht - fast 227 000! -, der sollte sich zu diesem Thema hier überhaupt nicht äußern. Sie sind sowas von raus!

(Beifall bei der LINKEN, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit allen anderen will ich gerne darüber streiten, wie wir das Thema angehen; denn ich habe manchmal den Eindruck, dass hier nur Virologen oder so sitzen. Ich bin das nicht.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit

Jan Korte (DIE LINKE):

Wir sind auf diesen Streit, auf die Auseinandersetzung angewiesen, damit wir das Beste für die Menschen, für die Gesundheit, die Grund- und Freiheitsrechte und vor allem für diejenigen, denen es nicht gutgeht, die nicht auf der Sonnenseite in diesem Land leben, tun können.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Korte, ich bin gezwungen, beim nächsten Hinweis das Mikrofon auszuschalten.

Jan Korte (DIE LINKE):

Ja, das ist schade.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Häufige Fragen zum Ukrainekrieg

Seit Beginn des schrecklichen Angriffskriegs Putins auf die Ukraine wird sowohl hier im Bundestag als auch überall sonst in Deutschland diskutiert, wie man damit umgehen sollte: Wie kann man die Menschen in der Ukraine unterstützen? Welche politischen Konsequenzen ziehen wir daraus? Und wie verhindern wir, dass sich dieser Krieg, den die größte Atommacht der Welt angezettelt hat, weiter ausweitet? Die schrecklichen Bilder und Nachrichten dieses Krieges bewegen uns alle ...
Lesenswert
  • 01.08.2022, Wahlkreis

    Neue Wahlkreiszeitung "Korte konkret" erschienen

    Ab sofort ist die neue Wahlkreiszeitung „Korte konkret“ erhältlich. Wieder vier Seiten voll mit Infos zur Arbeit von Jan Korte im Wahlkreis und im Bundestag. Im Mittelpunkt der aktuellen Ausgabe stehen diesmal die massiv steigenden Lebenshaltungskosten und die Forderung der LINKEN nach einer umfangreichen und wirksamen Entlastung, insbesondere für Senioren und Familien mit kleinen und mittleren Einkommen.
Presseecho
  • 29.09.2022, Presseecho

    Kleine und unabhängige Verlage in Gefahr – Förderung ist jetzt bitter nötig!

    Kleine Verlage haben keine Verhandlungsmacht. Sie können nicht direkt mit Vertrieb, Barsortiment und Handel verhandeln. Amazon diktiert weitgehend das Geschehen und das hat aktuell katastrophale Auswirkungen für die Buchbranche: Denn die während der Coronakrise an Amazon gelieferten Bücher gehen jetzt palettenweise als Remittenden an die kleinen Verlage zurück ...
Vernetzt
Zum Seitenanfang springen, Zur Navigation springen, Zum Inhalt springen.