Mehr als 100 Jahre nationalistischer Terror und politischer Mord

24.06.2022
Walter Rathenau 1921

Heute vor 100 Jahren, am 24. Juni 1922 wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau (DDP) von Mitgliedern der völkisch-nationalistischen Freikorps Organisation „Consul“ (OC) ermordet. Es war der dritte und spektakulärste Anschlag im Rahmen einer Mordserie der rechtsextremen Terrororganisation. Ihr führender Kopf war Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt, nach dessen Decknamen (Consul Eichmann) der Geheimbund benannt worden war. Ehrhardt hatte sich 1919 im Auftrag von SPD-Reichswehrminister Noske mit der ebenfalls nach ihm benannten Marinebrigade Ehrhardt maßgeblich an der Zerschlagung der Münchener Räterepublik beteiligt. Ein Jahr später war er beim Kapp-Lüttwitz Putsch am 13. März 1920 unter schwarz-weiß-roten Fahnen und mit Hakenkreuz am Stahlhelm in Berlin einmarschiert und hatte das Regierungsviertel besetzt. Auch die Mörder Rathenaus, Erwin Kern und Hermann Fischer, waren beide am Kapp-Putsch beteiligt gewesen.

Walther Rathenau, Eigentümer der AEG, hatte sich als Jude und weil er maßgeblich am Abschluss des Vertrages zwischen der Russischen Sowjetrepublik und Deutschland im April 1922 in Rapallo beteiligt war, den Hass der Faschisten zugezogen. Er war jedoch nicht das erste prominente Opfer des nationalistischen Terrors gegen Repräsentanten der Weimarer Republik. Das erste Opfer der OC war Matthias Erzberger, der im November 1918 als Bevollmächtigter der deutschen Regierung den Waffenstillstand unterzeichnet hatte. Mitglieder der OC ermordeten Erzberger am 26. August 1921. Ein knappes Jahr später, am 4. Juni 1922, verübten sie ein Blausäure-Attentat auf Philipp Scheidemann, der am 9. November 1918 die parlamentarische deutsche Republik ausgerufen hatte. Scheidemann überlebte schwer verletzt das Attentat. Nach dem Mord an Rathenau wurde der Publizist Maximilian Harden, der immer wieder die Gefahr der extremen Rechten angeprangert hatte, das vierte Opfer dieser Gewaltserie. Auch er überlebte nur knapp ein Attentat am 3. Juli 1922 mit schwerer Kopfverletzung.

Als Reaktion auf den rechten Terror riefen die Arbeiter:innenparteien MSPD, USPD und KPD zusammen mit dem ADGB gemeinsam zu einem Demonstrationsstreik am Nachmittag des 27. Juni 1922 auf, dem Millionen abhängig Beschäftigte in einen halbtägigen Proteststreik „Zur Verteidigung der Republik und der Grundrechte der Arbeitnehmerschaft“ folgten. Gefordert wurden u.a. das Verbot aller „monarchistischen und antirepublikanischen Verbindungen“, das Verbot aller „monarchistischen und antirepublikanischen Agitation“, strenge Vorschriften „zur Säuberung der Regierungsstellen und Behörden, einschließlich der Gerichte und der Reichswehr, von allen monarchistischen und antirepublikanischen Elementen“. Nach dem Generalstreik gegen den Kapp-Putsch am 13.3.1920 war der Rathenaustreik, der der größte politische Demonstrationsstreik in der Deutschen Geschichte war, leider der letzte gemeinsame Versuch der Arbeiter:innenbewegung zur Abwehr des Faschismus und Rettung der Weimarer Republik. In der Folge des Streiks und unter dem Druck der Massenaktionen wurde tatsächlich ein „Gesetz zum Schutz der Republik“ verabschiedet. Da es allerdings nicht wie gefordert ein Gesetz gegen Faschisten und Monarchisten, sondern gleichermaßen gegen Links- und Rechts wurde, geriet es angesichts eines reaktionären Justiz- und Staatsapparates zur Bedrohung der gesamten Linken der Arbeiterbewegung. Zwischen Februar 1919 und März 1921 fielen insgesamt 329 Menschen einem politisch motivierten Mord zum Opfer. 314 der Taten waren von rechten Mördern begangen worden, 15 von linken. Von den 15 von Links verübten Morden wurden alle 15 Täter bestraft, 8 davon mit Todesurteilen, die übrigen 7 zu insgesamt knapp 177 Jahren Haft verurteilt. Von den 314 angeklagten rechten Mördern dagegen erhielt niemand ein Todesurteil, insgesamt bekamen sie 31 Jahre und 3 Monate Haft und eine lebenslängliche Festungshaft. Im vereinfachenden Durchschnitt ausgedrückt: Linke Mörder erhielten in mehr als der Hälfte der Fälle eine Todesstrafe; entgingen sie dieser, erwarteten sie durchschnittlich 25 Jahre Haft. Rechte Mörder hatten eine Todesstrafe nicht zu befürchten und saßen für ihre Taten durchschnittlich keine zwei Monate im Gefängnis – die meisten Anklagen gegen sie wurden ohnehin fallengelassen.

Und da Polizei und Justiz auch im Mordfall Rathenau die Tatsache leugneten, dass es sich um einen organisierten völkisch-nationalistischen Terror handelte und alle Personen, die man ermitteln konnte, als „Einzeltäter“ angeklagt wurden, wurde eine konsequente Strafverfolgung erfolgreich vereitelt.