Online-Durchsuchung: Ein unerhörter Skandal

25.04.2007

Jan Korte greift in einer aktuellen Stunde des Bundestages die Bundesregierung scharf an, weil Onlinedurchsuchungen ohne Rechtsgrundlage stattfinden und Innenminister Schäuble zu Lasten der Demokratie den Marschin den präventiven Überwachungsstaat exerziert.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorratsdatenspeicherung, Antiterrordatei, Videoüberwachung, Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit, Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und Rasterfahndung das sind nur einige Dinge, die wir in den letzten Monaten beschlossen haben. Hinzu kommt die allwöchentlich stattfindende Leier vom Bundeswehreinsatz im Inneren. Anderes ist noch in der Diskussion.

Heute durften wir nun im Innenausschuss erleben, dass uns offiziell mitgeteilt wurde, dass die allseits debattierte Onlinedurchsuchung - besser als staatliches Hacking bezeichnet - bereits seit 2005 praktiziert wird. Dies geschah also unter einer rot-grünen Bundesregierung, per Dienstvorschrift von Innenminister Schily.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Unerhört!)

Das ist ein nicht zu beschreibender Skandal. Dies geschieht ohne eine Rechtsgrundlage, ohne eine Information des Parlaments, geschweige denn der Öffentlichkeit. Das ist nicht nur einer der tiefsten Eingriffe in Persönlichkeitsrechte, sondern es ist auch antidemokratisch, wie dieses Verfahren stattfindet.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Bereits im Oktober 2006, im Zuge der letzten Haushaltsberatungen, hat die Fraktion Die Linke im Innenausschuss hinsichtlich des Programms zur Stärkung der inneren Sicherheit darauf aufmerksam gemacht, dass in dessen Rahmen Mittel für Onlinedurchsuchungen zur Verfügung gestellt werden - auch dies ohne eine Rechtsgrundlage, ohne irgendeine weitergehende Information des Parlaments. Deswegen muss heute die Botschaft hier im Plenum sein: Stoppen Sie, Herr Schäuble, umgehend am besten noch heute die Onlinedurchsuchungen! Sie sind undemokratisch, und sie haben keine Rechtsgrundlage.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Tempo machen Sie jetzt mit der berühmten Salamitaktik weiter. Jede Woche wird eine andere sicherheitspolitische Sau durch das Dorf getrieben. Die Frage, wofür genau diese Maßnahmen eigentlich notwendig sind, wird von der Bundesregierung nicht beantwortet. Es findet keine wirkliche Evaluierung statt. Dem Parlament werden keine stichhaltigen Gründe genannt, wofür die verschiedenen Maßnahmen eigentlich gut sind. Wir brauchen eine tatsächliche Evaluierung. Es darf nicht sein, dass das Bundesinnenministerium sein eigenes Gesetz evaluiert. Denn dabei käme natürlich »überraschenderweise» heraus, dass es ein gutes Gesetz ist.

(Beifall bei der LINKEN Frank Spieth (DIE LINKE): Da würde man den Bock zum Gärtner machen! Das ist wohl wahr!)

Ich will auf eines aufmerksam machen: Was bedeutet eigentlich ein stetig steigender Überwachungsdruck für die Bevölkerung? Er hat zur Folge, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land anfangen, sich konform zu verhalten. Das bedeutet, dass sie nicht mehr den aufrechten Gang gehen, sondern genau darauf achten, was von staatlicher Seite erwartet wird und wie sie verhindern können, in bestimmte Dateien aufgenommen zu werden. Die Folge ist ein Weniger an Demokratie und Freiheit. Das ist ein Skandal. Das muss endlich gestoppt werden. Deswegen ist die heutige Aktuelle Stunde wichtiger denn je.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube, dass wir keinen präventiven Sicherheitsstaat, wie er der Bundesregierung vorschwebt, brauchen. Welche Auffassung die SPD in dieser Frage vertritt, lässt sich überhaupt nicht mehr sagen: Mal gehen ihr die Vorschläge von Herrn Schäuble zu weit, mal nicht. Herr Benneter hat gesagt, dass der Bundesinnenminister das größte Sicherheitsrisiko ist;

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Na, na! So undifferenziert habe ich das nicht zum Ausdruck gebracht!)

ich bin gespannt, was Sie uns heute dazu sagen. Diese Position teile ich ausnahmsweise. Denn die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sind kein potenzielles Sicherheitsrisiko. Wir wollen mündige Staatsbürger.

(Beifall bei der LINKEN)

Was für ein Gesellschaftsbild steht eigentlich hinter dieser Einschätzung? Das würde ich gerne von Ihnen wissen.
Jede Woche kündigen Sie eine neue Maßnahme an, die im Kampf gegen den internationalen Terrorismus Ihrer Meinung nach notwendig ist; das ist bereits in mehreren Debatten deutlich geworden. Hier stellen sich die Fragen: Wann ist die Grenze erreicht? Wann ist Ihr Datenhunger eigentlich gestillt? Wie weit wollen Sie gehen? Absolute Sicherheit kann es nicht geben,

(Beifall bei der LINKEN Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Woher wissen Sie das?)

weder in einem demokratischen Rechtsstaat noch hier erst recht nicht in einer Diktatur. Daher müssen wir die Freiheitsrechte bewahren.

Man muss sich darüber im Klaren sein, was geschehen soll, wenn alle technischen Möglichkeiten ausgereizt sind bzw. wenn sie irgendwann nicht mehr greifen, weil sich Terroristen zum Beispiel nicht mehr im Internet verabreden, wie es derzeit angeblich der Fall sein soll, sondern sich im Wald zu einer Besprechung treffen, um dort ihre kriminellen Handlungen zu planen. Was machen Sie dann?

Es ist an der Zeit, den Marsch in einen Überwachungsstaat, wie er Ihnen vorschwebt, auf außerparlamentarischem und auf parlamentarischem Wege zu stoppen. Es ist an der Zeit, für eine freie, offene, demokratische und soziale Gesellschaft zu streiten und diese zu verteidigen. Wir müssen für das eintreten, was die Terroristen bekämpfen wollen. Freiheit kann nicht durch die Einschränkung von Freiheit gesichert werden. Das funktioniert nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Daher sage ich für die Fraktion Die Linke ich hoffe, viele außerparlamentarischen Akteure der Zivilgesellschaft schließen sich dem an : Angesichts der von Ihnen geplanten Maßnahmen, die Sie uns Woche für Woche vorlegen, ist es an der Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung in der Bundesrepublik.
Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

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