»Unrecht kennt keinen Verrat!»

21.05.2012

»Unrecht kennt keinen Verrat! (Fritz Bauer)»

Festansprache zum 90. Geburtstag von Ludwig Baumann

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen, vor allem aber lieber Ludwig!

 

In unserem neuen Buch über den langen Weg zur Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter hatten Dominic Heilig und ich die große Freude und Ehre mit Dir ein 30-seitiges Interview über Dein Leben zu führen. Wir haben Dich in diesem Interview an einer Stelle gefragt, wer Dir und Deinem Freund Kurt Oldenburg – mit dem Du gemeinsam desertiert bist – damals eigentlich geholfen hat und wie Du den 4. Juni 1942 noch in Erinnerung hast. In unserem Interview gabst Du darauf folgende Antwort:

 

»Es waren Hafenarbeiter, Feuerwehrleute und Wachpersonal. Einige von ihnen konnten Deutsch. Jedenfalls haben sie uns Adressen aus dem nicht besetzten Teil Frankreichs gegeben, in dem die Vichy-Regierung von Hitlers Gnaden saß. Sie gaben uns Adressen aus Toulouse und aus Marokko. Über Marokko, das damals noch französische Kolonie war, wollte ich rüber nach Amerika. Das war damals mein Traum.

Um abzuhauen, schlugen wir zuerst eine Scheibe der Waffenkammer ein und nahmen uns Pistolen und Munition. Wir lagen damals ja auf einem großen Wohnschiff. Die Franzosen warteten um die Ecke mit einem kleinen Lastwagen. Sie gaben uns Zivilzeug und Baskenmützen. Nachts fuhren sie uns dann zur innerfranzösischen, unbewachten Grenze. Sie fuhren später zurück, und wir wollten im Morgengrauen rüber, weil die Sicht wegen Regens so schlecht war. Dummerweise sind wir dann einer deutschen Zollstreife in die Arme gelaufen, die uns mitnehmen wollte. Sie hielten uns aber zuerst für Franzosen, sie konnten wohl auch kein Französisch. Sie hatten die Gewehre umgehängt, und wir hatten die Pistolen in den Taschen entsichert.

Wir hätten sie erschießen können, so steht es auch in unserem Urteil. Aber wir haben es nicht getan. Wir hatten uns bewaffnet, um uns sicherer zu fühlen, aber wir konnten sie einfach nicht erschießen.»

 

Die Schilderung dieses Tages erklärt Dein ganzes späteres Handeln. Das wichtigste an diesem Zitat ist aber der letzte Satz, lieber Ludwig. »Wir konnten sie einfach nicht erschießen». Dieser Satz zeigt das, was Dich damals zu einer Minderheit hat werden lassen: Einen intakten Kompass der Menschlichkeit und der Empathie für sein Gegenüber. Allzu viele haben diese humane Orientierung verloren gehabt. In diesem Satz kommt Dein ganzer Humanismus zum Ausdruck, der Dir bei allen Höhen und gerade auch den Tiefen stets Orientierung sein sollte – bis heute.

 

Lieber Ludwig, meine sehr geehrten Damen und Herren,

die interessierte Öffentlichkeit verbindet mit Ludwig Baumann natürlich den Kampf um die Rehabilitierung der Deserteure und Kriegsverräter. Dieser Kampf war nicht nur ein Kampf um das Andenken der Opfer des NS-Terrorregimes, es war auch und in besonderer Weise ein Kampf um die Demokratisierung der Bundesrepublik insgesamt. Denn der Blick durch die Brille der Naziopfer war die Ausnahme, nicht die Regel. Dafür, lieber Ludwig, steht Dein Engagement. Aus der Sicht des NS-Opfers hast Du am Beispiel Deiner Person Geschichte exemplarisch sichtbar machen können:

Die Geschichte der Bundesrepublik war eben keine reine Erfolgsgeschichte. Es war auch die Geschichte der Rückkehr der alten Eliten in Amt und Würden. Es wurde die Lüge der »wenigen, wirklichen Täter» kreiert: Namentlich Hitler, Himmler und Goebbels seien die Täter gewesen, alle anderen waren lediglich Gehilfen, Technokraten oder Verführte. Die Reduzierung der Schuld auf drei Haupttäter wurde übrigens sowohl von den staatlichen, militärischen, diplomatischen, justiziellen und wirtschaftlichen Funktionseliten verbreitet, als auch von der Masse der deutschen Bevölkerung dankbar aufgenommen, da sie ja eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in das NS-Regime verhinderte – sehr praktisch. In dieser Zeit wurden außerdem auch mit besonderer Vehemenz die Abtrennung der Justiz vom NS-Staat im Allgemeinen und die Abtrennung der Wehrmachtsjustiz vom Nationalsozialismus im Speziellen betrieben. Diese Lüge, dass es sich bei der Wehrmachtsjustiz um eine irgendwie rechtsstaatlich vom Nationalsozialismus fast gänzlich nicht angesteckte Institution von ehrenhaften Leuten handeln würde, wirkte jahrzehntelang und kann uns heute einen Hinweis geben, warum beispielsweise die Kriegsverräter erst im Jahre 2009 rehabilitiert wurden. In einer Zeit, in der ein nahezu religiöser Antikommunismus den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion als fast schon legitim erschienen ließ, war an eine Anerkennung des Widerstandes von kleinen Soldaten, wie Ludwig Baumann, nicht mal im Ansatz zu denken. Die Abwehr der Auseinandersetzung, die »Unfähigkeit zu trauern», wie es die Mitscherlichs ausdrückten, der antidemokratische Antikommunismus in vergangenheitspolitischer Absicht haben die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland schwer beschädigt.

 

Lieber Ludwig, wenn wir uns dieser heute, nebenbei gesagt sehr gut erforschten Zeit, rückblickend zuwenden, so erkennen wir schnell, dass Dein Kampf eben kein von der Masse der Bevölkerung getragener Kampf war. Geschweige denn, dass Du von Institutionen und politischen Kräften anfangs unterstützt worden wärest. Das kam erst viel später. Es war oftmals ein einsamer Kampf. Aber ich möchte auch daran erinnern, dass Du trotzdem nicht alleine warst. Es gab auch andere, einsame Persönlichkeiten, die einen Kampf gegen das Vergessen und für die juristische Aufarbeitung leisteten. Ich denke zum Beispiel an Fritz Bauer, den großen hessischen Generalstaatsanwalt, der auch einen einsamen Kampf führte. Wie Du Ludwig. Wenn wir in diesem Zusammenhang an Fritz Bauer denken, will ich auch daran erinnern, dass Leute wie Fritz Bauer maßgeblich den Grundstein für eine spätere Aufarbeitung der Geschichte legten. Im sogenannten Remer-Prozess führte Bauer damals den Nachweis, dass die sogenannten Verschwörer des 20. Juli eben keine »Verräter» waren, wie man allseits annahm. Nein, sie haben versucht die »Majestät des Rechts» wieder herzustellen. In seinem Schluss-Plädoyer brachte Bauer dieses Denken in wunderbarer Form auf den Punkt: »Unrecht kennt keinen Verrat!»

 

Dieser Ausspruch, lieber Ludwig, zieht eine direkte Linie zwischen Dir und Fritz Bauer. Im Sinne von Fritz Bauer hast Du dafür gesorgt die »Majestät der Würde der Opfer und kleinen Widerständler» wiederherzustellen. Im Sinne dieses Anliegens hast Du, zusammen mit so hervorragenden Wissenschaftlern wie Manfred Messerschmidt, der heute hier bereits beeindruckend zu uns gesprochen hat, den Nachweis erbracht, dass die Wehrmachtsjustiz eine Mörderjustiz war. Sie war direkter Bestandteil des »gesetzlichen Unrechts», wie es Gustav Radbruch treffend charakterisierte.

 

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

 

2006 erhielt ich einen Brief von Ludwig, indem er mich auf das skandalöse Problem der immer noch nicht erfolgten Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter aufmerksam machte. Als wir den Brief beantworteten und uns dran machten, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu verfassen und in den Bundestag einzubringen, ahnten wir nicht, dass wir drei Jahre harte und zähe Auseinandersetzungen vor uns haben würden. Wir erlebten revanchistische Ausfälle der Abgeordneten Geis und van Essen, wir erlebten üble Geschäftsordnungstricks im Bundestag und wir erlebten alle Kniffe der Verzögerungstaktik. Mehrfach hatte ich wirklich genug von diesen Tricksereien. Aber: Zum Glück gab es Dich Ludwig, der uns immer wieder mit Euphorie Beine und Lust machte weiter zu arbeiten. Drei Jahre haben wir somit viel Zeit miteinander verbracht und ich will – ich hoffe lieber Ludwig Du bist einverstanden – zwei persönliche Geschichten aus dieser Zeit erzählen. Da musst Du jetzt durch:

 

Besonders gerne, erinnere ich mich, erinnern sich meine Mitarbeiter und Freunde, an Deine Besuche in Berlin: Das Drängen, das bohrende Engagement und die vielen Ideen, die wir ausheckten. Bei diesen Treffen ist mir aber eines besonders aufgefallen. Ludwig ist ein wirklicher Medienprofi auf dem rutschigen Berliner Parkett. Also: Wir hatten damals eingeladen zu einer Pressekonferenz zur Vorstellung des gemeinsamen Antrages aus den Reihen der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN. Der Stargast warst Du Ludwig. Viele Journalisten und Kamerateams waren gekommen. Der Saal der Pressekonferenz war an einer Empore gelegen und man musste einige Treppen vom Haupteingang hinaufgehen. ARD und ZDF wollten natürlich Interviews mit Dir machen. Dabei zeigte sich dann der Medienprofi Ludwig Baumann: Bevor Du vor die Kameras getreten bist, sagtest Du zu den Fernsehjournalisten, dass man erst mal ein paar ordentliche Schnittbilder machen müsste und Du daher mal die Treppen rauf und wieder runtergehen würdest. Du hast diese Anweisung in einer Frage getarnt. Die Journalisten waren beeindruckt, allein schon deshalb, weil Du den Begriff »Schnittbilder» verwendest hattest. Ich erinnere mich sehr gerne an diese Szene. Und, liebe Freundinnen und Freunde, Ludwig gibt gerne Interviews – das muss hier verraten werden.

 

Noch eine andere Geschichte, die mich an Deine Berlinbesuche erinnern lässt. In der Regel bist Du morgens in Berlin angekommen und wir haben in meinem Büro erst einmal die Lage besprochen. Danach hast dann meist einen ersten Pressetermin absolviert. Dann aber war klar: Ich und meine Mitarbeiter hatten das Büro zu räumen. Denn gegen 13.00 hast Du regelmäßig auf dem Sofa meines Abgeordnetenbüros einen Mittagsschlaf gehalten, um danach gestärkt die nächsten Pressetermine abarbeiten zu können. Seither habe ich auf meinem Sofa Kopfkissen und Decke bereit liegen. Ich versichere, dass Du ein exklusives Anrecht auf mein Sofa für den Mittagsschlaf hast. Dieses Angebot bekommt kein anderer. Ich hoffe Du wirst auch in Zukunft noch oft von unserem Sofa Gebrauch machen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde, lieber Ludwig,

 

ich könnte Ihnen und Euch jetzt noch viele weitere Geschichten und Erinnerungen von der Zusammenarbeit mit Ludwig erzählen. Ich will es dabei belassen, denn es stehen ja heute noch weitere Reden auf dem Programm.

Im Sommer 2009, kurz vor den Bundestagswahlen, rehabilitierte der Bundestag einstimmig die sogenannten Kriegsverräter. Du warst selber im Plenum des Bundestages dabei. Für mich war dieser Moment politisch das Beste wozu ich beitragen konnte. Wahrscheinlich kommt politisch auch nichts Wichtigeres mehr. Es war aber auch persönlich ein sehr bewegender Moment für mich. Die Rehabilitierung der Kriegsverräter gelang, weil viele unser gemeinsames Anliegen unterstützten: Die evangelische Kirche, die jüdische Gemeinde Berlin, einzelne, engagierte und aufrechte Journalisten, kritische Juristen wie Helmut Kramer und viele andere mehr. Der größte Verdienst und der größte Anteil gebührt aber Dir Ludwig. Du hast mit Deinem Engagement zur Demokratisierung dieser Gesellschaft beigetragen.

 

Es war und ist wunderbar an Deiner Seite für Frieden und Gerechtigkeit zu streiten. Gehen wir alle zusammen weiter bis zum Horizont. Denn dort erkennen wir unserer gemeinsamen Traum: Eine Gesellschaft der Freien und Gleichen.

 

Lieber Ludwig,

 

diesen Weg mit Dir zu gehen ist eine besondere Freude und Ehre.

Herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Gehalten am 13. Dezember 2011 im Bremer Lidice-Haus im Rahmen der Festveranstaltung »30 Jahre Protest für eine gerechte Welt – Über 20 Jahre Engagement für die Würde der Opfer der NS-Militärjustiz. Rückschau und Ausblick anlässlich 90 Jahre Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz»