Institut für Zeitgeschichte muss eigene Geschichte aufarbeiten

27.10.2017

Aktuell erschüttert eine Kontroverse das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ), die das Zeug haben könnte sich zum handfesten Historiker-Skandal auszuwachsen. Das im Mai 1949 unter dem Namen „Deutsches Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“ auf Anregung der Alliierten als Gemeinschaftsprojekt des Bundes und des Freistaats Bayern gegründete IfZ ist das konservative Flaggschiff der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft. Mit bislang mehr als 9000 Gutachten für Gerichte, Behörden und Ministerien bestimmt das Institut in weiten Teilen sowohl den öffentlichen, wie auch behördlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Um Gutachten geht es auch jetzt: In der vergangenen Woche hatte der Historiker Götz Aly Dokumente aus dem Archiv des IfZ vorgestellt, die belegen, dass das Institut durch zwei negative Gutachten wohl maßgeblich eine deutsche Übersetzung von Raul Hilbergs monumentalem Standardwerk „Die Vernichtung der europäischen Juden“ von 1961 in den Jahren 1964 und 1980 verhindert hat. Und dies war offensichtlich nicht der einzige Versuch das Erscheinen unbequemer Bücher zu verhindern: Schon 1953 hatte es das Institut abgelehnt, Gerald Reitlingers bahnbrechendes Werk über die sogenannte „Endlösung“ zu veröffentlichen, weil – so steht es im Protokoll – das die Pläne zu einer eigenen umfassenden Geschichte des Nationalsozialismus stören würde. Doch das Institut wollte nicht nur zum Schutz eigener Forschungsvorhaben unliebsame Konkurrenz verhindern. Es ging den Institutsleitern Helmut Krausnick und Martin Broszat (in enger Zusammenarbeit mit den Lektoren der Verlage Droemer Knaur und C.H. Beck), beide NSDAP-Mitglieder, im Kern um eine entschärfte Analyse und Deutung des Nationalsozialismus.

Denn während Hilbergs Forschungsansatz darin bestand, dass er den Massenmord an den europäischen Juden als komplexen, arbeitsteiligen Prozess verstand, der vom Zusammenspiel fast aller Institutionen und Organisationen des NS-Staates getragen war, war das IfZ offenbar bestrebt die Anzahl der Täter möglichst klein zu halten und über den Holocaust lange gar nicht zu reden. Deshalb mussten Bücher verhindert werden, die die bis weit in die Nachkriegszeit hinein in Deutschland und Österreich gängige Überzeugung, nur Hitler und einigen hochrangigen NS-Funktionären sei alles bekannt gewesen, widerlegten. Denn wenn die Zahl derer, die am Prozess mitwirkten, im Ergebnis in die Hunderttausende ging, konnte schwerlich von einem geheimen Geschehen die Rede sein.

Und es gab noch einen weiteren Grund, warum das IfZ 18 Jahre lang hartnäckig das Erscheinen von Hilbergs Meisterwerk zu verhindern suchte: Offensichtlich nutzten die Münchner Historiker Hilbergs Werk für eigene Zwecke und schrieben fleißig daraus ab, allerdings ohne jeweils die Quelle anzugeben.

Mittlerweile hat der stellvertretende Institutsdirektor Magnus Brechtken angekündigt, dass es eine interne Aufarbeitung der damaligen Vorgänge geben soll. Gut so. Man darf durchaus gespannt sein, was eine unabhängige Expertenkommission noch so alles zu Tage fördern wird. Insbesondere interessant könnte es sein, sich die zahllosen Gutachten, die das IfZ, z.B. rund um den Eichmann-Prozess, für das Kanzleramt angefertigt hat, genauer anzugucken. Denn dort saß mit Hans Maria Globke einer, der ganz genau wusste, wie der Holocaust als Verwaltungshandeln organisiert wurde und der von der IfZ-Geschichtsschreibung konkret profitierte.