Jan Korte, MdB (DIE LINKE) (www.jan-korte.de)

Zwangsdienste sind mit einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar

16.08.2018

Ich habe den Wehrdienst verweigert. Stattdessen machte ich den Zivildienst, der gleichfalls ein Zwangsdienst war. Wenn ich an diese Zeit in der Altenpflege im Diakonie-Krankenhaus zurückdenke, habe ich keinesfalls negative Erinnerungen. Im Gegenteil: Ich hatte meinen ersten wirklichen Kontakt mit der Arbeitswelt, ich habe real erlebt was Pflege von Menschen bedeutet – körperlich und psychisch. Ich habe extrem viel gelernt und tolle Menschen kennengelernt. Die Arbeit, die wir machten, war keine schlechte. Es war gesellschaftlich notwendige Arbeit in einem wichtigen sozialen Bereich. Ich kann es nur jedem jungen Menschen raten, solch eine Erfahrung zu machen.

Aber all das legitimierte schon damals nicht die Form, den Zwangsdienst. Es war daher immer eine richtige Forderung der Linken, Zwangsdienste aller Art abzuschaffen. Sie sind mit einer demokratischen Gesellschaft kaum vereinbar.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Auflösung des Warschauer Vertrags gab sich die NATO neue Ziele. Und natürlich fragten sich alle, was die Wehrpflicht soll, wenn der Feind an den Grenzen zur Bundesrepublik fehlt. Die NATO begann sich als ein weltweites Interventionsbündnis zu definieren. Bei »Krisen« in aller Welt steht die NATO seitdem bereit, um »Ordnung« zu schaffen. Das hatte Folgen für die Bundeswehr, die auf eine militärische Auseinandersetzung zwischen der NATO und den Staaten des Warschauer Vertrags zugeschnitten war.

Eine Armee, die jederzeit überall einsatzfähig sein soll, hat eine andere Struktur. Die Bundeswehr wurde umgebaut. Von Jahr zu Jahr wurde die Anzahl derer, die zum Wehrdienst eingezogen wurden, kleiner. Irgendwann stellte sich die Frage der »Wehrgerechtigkeit«. Es war plötzlich Zufall, wer zur Bundeswehr muss und wer nicht. Auch deshalb wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Damit fiel aber auch der Zivildienst, der ein Wehrersatzdienst war. Wer heute also gern die Wehrpflicht wieder haben möchte, der muss erklären, warum das Problem der Wehrgerechtigkeit nicht mehr bestehen soll.

Der nächste Kritikpunkt ist rechtlicher Art. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet Zwangsarbeit. Dass der Zivildienst dennoch möglich war, lag daran, dass er als Wehrersatzdienst konzipiert war. Den Wehrdienst jedoch verbietet die Menschenrechtskonvention nicht. Würde man nun einen Zwangsdienst für alle einführen, müsste man das Problem des Zwangsarbeitsverbots dadurch umgehen, dass man einen Wehrdienst für alle Männer und Frauen einführt - einschließlich eines Wehrersatzdienstes.

Ein solches Vorhaben erfordert eine Änderung des Grundgesetzes. Die könnte zwar erfolgreich sein, aber nur mit den Stimmen der AfD, deren Begeisterung über die CDU-Vorstöße alles sagt.

Moralisch wird nun angeführt, dass es gut sei, wenn junge Menschen etwas für das Gemeinwesen tun. Abstrakt ist das richtig. Jedoch gibt es viele Berufe im Pflegebereich und anderen sozialen Dienstleistungen, die katastrophal schlecht bezahlt sind, weshalb die Ware Arbeitskraft sich woanders verkauft. So läuft das im Kapitalismus, den gerade Konservative zäh verteidigen. Warum machen sie dann plötzlich beim Militär, dessen Einsatz zum Beispiel in Afghanistan niemand versteht, eine Ausnahme?

Die Antwort auf den Mangel an Pflegekräften kann jedenfalls ganz sicher nicht in der Einführung eines neuen Niedriglohnsektors, wie es der Zivildienst früher auch schon war, bestehen. Es ist grotesk und ziemlich frech, erst die neoliberale Ideologie »Jeder ist seines Glückes Schmied« auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen, die Agenda 2010 von SPD und Grünen, die eine halbwegs funktionierende soziale Sicherheit zerstörte und Vereinzelung beförderte, auch noch radikalisieren zu wollen, und dann per Zwang junge Leute etwas für die Gemeinschaft tun lassen. Absurd!

Das eigentlich Bemerkenswerte an der Wehrdienstdebatte ist das konservative Welt- und Gesellschaftsbild, das hier öffentlich einem Test unterzogen wurde. Die Debatte ist ein Anzeichen für eine mögliche konservative Wende der CDU. Real geht es um das Austesten einer Verschiebung der CDU nach rechts. Wehrpflicht bedeutet im Übrigen auch immer Militarisierung von Gesellschaft – wir brauchen aber das Gegenteil.

Wir brauchen keine Auslandseinsätze. Die bei einem Truppenrückzug frei werdenden Mittel könnten genutzt werden, um den Bundesfreiwilligendienst attraktiver zu machen. Wie wäre es, den Menschen, die sich für freiwillige Dienste, egal ob im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich, entscheiden, Extra-Rentenpunkte für diese Zeit zu geben? Wie wäre, es endlich die vielen wichtigen Berufe im sozialen Bereich deutlich aufzuwerten und angemessene Löhne zu zahlen? Ach, man könnte tatsächlich eine Menge sinnvolles machen, anstatt Ideen von vorgestern im Sommerloch auszugraben.

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Der Beitrag von Jan Korte erschien zuerst unter dem Titel "Ideen von vorgestern im Sommerloch" in 'neues deutschland' am 15. August 2018.

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